Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
ist die Diskussion über den Mindestlohn in den letzten Jahren so hochgekocht. Inzwischen ist sogar die CDU prinzipiell dafür, obwohl gesetzliche Mindestlöhne lange Zeit als marktwirtschaftliches Tabu galten, das Arbeitsplätze gefährdet und in die Verhandlungsfreiheit von Unternehmen und Gewerkschaften eingreift, in die »Autonomie der Tarifparteien«.
    Wenn die Tarifparteien aber selbst nicht mehr für halbwegs faire Löhne sorgen (können), dann ruft das den Staat auf den Plan. Allein schon aus Eigeninteresse: Wenn immer mehr Arbeitnehmer staatliche Zuschüsse brauchen, um mit ihren Niedriglöhnen zu überleben, obwohl sie arbeiten, kostet das den Staat entsprechend. Die Unternehmen machen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit, weil sie die Löhne schön drücken können, denn für die Überlebensfähigkeit ihrer Arbeiter sorgt ja der Staat.
    Das Hauptargument gegen einen Mindestlohn ist damit aber nicht vom Tisch: Ist er zu hoch, kostet das tatsächlich Arbeitsplätze. Wenn der Friseur nicht mehr 20 Euro, sondern 30 Euro für den Kurzhaarschnitt nimmt, kommt Tante Erna mit ihrer kleinen Rente nur noch alle drei Monate statt alle sechs Wochen, und irgendwann ist nicht mehr genug Kundschaft da, um zwei Friseurinnen im kleinen Salon an der Ecke zu bezahlen. Hier die richtige Balance zu finden, ist schwierig – denn der Staat muss gewissermaßen schlauer sein als der Markt, und das ist er selten. Man kann auch darüber streiten, ob es sinnvoll ist, einen Mindestlohn für alle Arbeitnehmer in ganz Deutschland festzulegen, oder ob man besser unterschiedliche Mindestlöhne nach Branchen und Regionen formuliert. Am Ende werden es dann auch wieder Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter sein, die bei der Findung eines »richtigen« Mindestlohns beratend zur Seite stehen. Das ist sozusagen die Fortsetzung der Tarifverhandlungen mit anderen Mitteln.
    Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber über die Höhe der Löhne diskutieren, beziehen sie sich meist nicht nur auf die Situation in bestimmten Unternehmen oder Branchen, sondern argumentieren auch volkswirtschaftlich. Die Arbeitgeberseite will natürlich möglichst niedrige Löhne. Sie begründet das mit drohenden Arbeitsplatzverlusten (wenn Arbeit zu teuer wird, müssen wir entlassen beziehungsweise rationalisieren, zum Beispiel mehr Maschinen einsetzen, ansonsten ist der Unternehmenserfolg gefährdet) und verweist auf den verschärften internationalen Wettbewerb, der in der Tat ökonomischen Druck erzeugt. Ausländische Unternehmen konkurrieren mit ihren billigeren Produkten, die sie mit billigeren Arbeitskräften hergestellt haben, um Marktanteile. Die Drohung, mit einzelnen Produktionszweigen abzuwandern, war vor dreißig Jahren noch nicht so durchschlagend wie heute.
    Andererseits wäre aus Arbeitgebersicht eigentlich nie die richtige Zeit für Lohnerhöhungen. Immer ist die Lage irgendwie schlecht und der Wettbewerbsdruck groß. Wenn bestimmte Branchen oder Konzerne aber gleichzeitig große Gewinne einfahren, wirkt das nicht sonderlich überzeugend. Die Gewerkschaften wiederum argumentieren gerne mit der »Kaufkrafttheorie der Löhne« und liegen damit auf einer Linie mit Politikern von SPD und Linkspartei. Die Idee ist, dass höhere Löhne den Menschen mehr Kaufkraft verleihen, das wiederum kurbelt die Nachfrage an und nutzt letztlich wieder den Unternehmen. Im Prinzip stimmt das auch. Das Problem ist nur, dass die höhere Kaufkraft nicht notwendigerweise für inländische Produkte eingesetzt wird. Wer mehr verdient, fährt vielleicht in Urlaub, und dann wandert das schöne Geld ins Ausland. Oder kauft importierte Produkte, ein asiatisches Smartphone etwa – davon haben deutsche Unternehmen auch nichts. Wieder andere sparen ihr zusätzliches Geld lieber, anstatt zu konsumieren. Der Nachfrage-Effekt wirkt also nur begrenzt. Die höheren Kosten durch höhere Löhne spüren die Unternehmen aber unmittelbar und in vollem Ausmaß.
    Theorien stimmen oft nur in der Theorie
    Leider ist das mit allen volkswirtschaftlichen Theorien und Modellen so: Sie »stimmen« nur unter speziellen Annahmen (zum Beispiel alle Arbeitnehmer kaufen im Inland), die es so in der Praxis meist nicht gibt. Derartige Differenzierungen sind aber für Politiker sehr unpraktisch. Deshalb argumentiert zum Beispiel der Linkspolitiker Oskar Lafontaine auch bei jeder Gelegenheit unverdrossen mit der Kaufkraftheorie der Löhne, als sei sie tatsächlich eine naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit. Auf der

Weitere Kostenlose Bücher