Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
alljährliche Neuverschuldung nicht einmal mehr reicht, um die Zinsen für die alten Schulden zu zahlen. Und ein Schuldenabbau scheint praktisch unmöglich. Würde Deutschland jedes Jahr 13 Milliarden Euro zurückzahlen (die erst mal irgendwoher kommen müssen), wären wir nach 100 Jahren immer noch nicht schuldenfrei. Wenn Politiker davon sprechen, dass sie »die Staatsverschuldung abbauen«, dann meinen sie damit also keineswegs, dass sie Schulden zurückzahlen. Sondern nur, dass sie weniger neue Schulden aufnehmen. Fairerweise muss man in diesem Zusammenhang aber auch sagen: Dass Deutschland hoch verschuldet ist, liegt auch daran, dass die Kosten für die Wiedervereinigung völlig unterschätzt wurden – sie mussten aber, nachdem man damit angefangen hatte, irgendwie bezahlt werden.
Etwa 60 Prozent der Kredite werden innerdeutsch aufgenommen. Davon zwei Drittel bei Banken, ein Drittel bei Unternehmen und Privatpersonen. Die übrigen 40 Prozent des Geldes kommen aus dem Ausland. Große Investoren kaufen zum Beispiel Staatsanleihen. Man kann aber auch als Privatperson einem ausländischen Staat Geld leihen, dann kauft man zum Beispiel über seine Bank Anleihen aus Norwegen. Die Zinsen für diese Leihgaben von Ausländern gehen logischerweise dann ebenfalls ins Ausland. Zinsen, die der deutsche Staat an deutsche Bürger oder Unternehmen zahlt, bleiben mit etwas Glück im Land und sorgen vielleicht dafür, dass die Firmen wachsen oder Privatleute sich mehr kaufen. Zinsen, die ins Ausland gehen, nützen dort, aber nicht hier.
Bei der Frage, wie nützlich Staatsverschuldung ist, wird oft der Brite John Maynard Keynes (1883–1946) ins Feld geführt, der davon ausging, je mehr investiert würde, desto mehr Gewinn würde am Ende herauskommen. Denn von dem geliehenen Geld baut der Staat vielleicht Straßen oder Krankenhäuser. Er beschäftigt und bezahlt also auch Arbeiter. Und das, was gebaut wird, nützt dann allen, und so können die Menschen mehr verdienen und schließlich mehr Steuern zahlen, mit denen schließlich die Schulden beglichen werden. Dumm nur, dass Politiker durchgängig lieber Geld ausgeben als sparen. Das hatte Keynes sich nicht so vorgestellt. Er war nämlich dafür, dass in den Zeiten, in denen die Wirtschaft gut läuft und der Staat viele Steuern einnimmt, gespart wird für die schlechten Zeiten. Nur in den schlechten Zeiten sollte der Staat Geld in die Wirtschaft pumpen und dafür notfalls Schulden machen. Die Konjunkturzyklen von schlechten und guten Zeiten wechseln sich in der Wirtschaft ja meistens ab, fast wie die Jahreszeiten.
Geld ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln – klappt das?
In der Flaute, so Keynes, steuert der Staat gegen und gibt mehr Geld aus, und wenn die Konjunktur wieder brummt, hält er sich mit den Ausgaben zurück. So kam es dann aber nicht. Wie so oft bei schönen Theorien: In der Praxis werden sie über Bord geworfen beziehungsweise nur zum Teil angewandt. Wenn die Konjunktur brummte wurde weiterhin viel ausgegeben. Und der Ruf, »Wir müssen jetzt dringend den Haushalt konsolidieren« (also Sparen) erschallt meist genau dann, wenn die Zeit zum Sparen ungünstig ist, weil die Wirtschaft Unterstützung gut gebrauchen könnte und ein Staat, der genau dann seine Ausgaben zurückschraubt, die Wirtschaft womöglich noch mehr in die Rezession treibt. Dennoch ist der »Keynesianismus« auch heute unter Fachleuten durchaus beliebt. Gerade in der aktuellen europäischen Schuldenkrise warnen viele Ökonomen davor, dass die Krisenländer sich noch mehr »kaputtsparen«. Andere warnen davor, dass man Feuer nicht mit Feuer bekämpfen sollte, nach dem Motto: »Die hohen Schulden haben uns in die Krise getrieben, also machen wir jetzt erst recht noch mehr davon.« Doch die Staatsschulden stehen eben nicht nur auf dem Papier. Sie haben wirtschaftliche Folgen, die jeder Bürger spürt. Wenn der Staat sich viel Geld leiht, dann steigt der Preis für Geld, also die Zinsen. Das merkt jeder Bürger, der zum Beispiel ein Haus bauen will und dafür einen Kredit braucht, und jeder Unternehmer, der eine neue Maschine kaufen will und sich dafür Geld leihen möchte. Eine hohe Staatsverschuldung kann also die Wirtschaft bremsen, anstatt sie anzukurbeln. Außerdem engt die Verschuldung die finanziellen Spielräume des Staates ein. Selbst wenn er die Schulden nicht tilgt – die Kreditzinsen muss er zahlen. Auch in Deutschland geht bereits ein hoher Teil der Haushaltsbudgets für den
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