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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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entfalten?
    Nach unserer Verfassungsordnung ist das, was wir herkömmlich unter »Macht« verstehen, ja stark orientiert an den schlechten Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Dort hatte der Reichspräsident am Ende eine Macht, die dazu geführt hat, dass die Nationalsozialisten ans Ruder kamen. Der Reichspräsident hatte ganz zweifellos eine zu große Macht, das sollte bei der neuen Verfassung, beim Grundgesetz, unter keinen Umständen wiederholt werden. Es ist ja sogar damals über die Frage diskutiert worden, ob wir überhaupt einen Bundespräsidenten brauchen. Die Debatte ist dann aber sehr schnell abgestorben …
    … weil man ihn doch braucht?
    Weil es überparteilicher Instanzen bedarf. Zur freiheitlichen Demokratie gehört eben auf der einen Seite die Einsicht in die Notwendigkeit der Parteien und auf der anderen Seite die Überparteilichkeit. Das ist dringend notwendig! Und das muss der jeweilige Amtsinhaber dann auch entsprechend verkörpern.
    Der Bundespräsident wird ja auch als der »würdevolle« Teil der Verfassung bezeichnet. Entgegen dem »mächtigen« Teil, also Parlament und Regierung. Der Bundespräsident soll also überparteilich sein, er soll würdevoll sein, und er soll repräsentieren …
    Also »repräsentieren«, das ist ein kleines Wort für eine größere Sache!
    Wie meinen Sie das?
    Ach, repräsentieren, das klingt so, als würde man in erster Linie Gäste empfangen und bewirten. Nein, so ist es nicht! In erster Linie arbeitet man und denkt nach und bringt seine Gedanken in die öffentliche Diskussion ein.
    Man ist also nicht nur dazu da, um Gäste zu bewirten – heißt das, dass man als Bundespräsident auch richtig Außenpolitik machen kann?
    Also, ich hatte rund 56 Staatsbesuche im Ausland gemacht und dabei natürlich immer auch die deutsche Außenpolitik vertreten. Viele dieser Reisen habe ich ja auch gemeinsam mit dem jeweiligen Außenminister gemacht. Ich war mit Hans-Dietrich Genscher wirklich sehr eng und war an den aktuellen Diskussionen und Ergebnissen der Außenpolitik ganz unmittelbar beteiligt. Auch in den Gesprächen mit den Medien. Da wurde ich dann ja auch nach der deutschen Haltung zu diesem oder jenem Thema gefragt, und dann konnte ich doch nicht sagen: Liebe Leute, dafür bin ich nicht zuständig! Selbstverständlich hab ich die Fragen immer alle beantwortet. Und selbstverständlich in meiner Tonlage und nicht »repräsentativ«! Die Außenpolitik war insgesamt sogar der überwiegende Teil meiner Tätigkeit als Bundespräsident.
    Welche Rolle spielen in der Außenpolitik eigentlich persönliche Beziehungen? Kann man zum Beispiel hinter den Kulissen als Bundespräsident auch helfen?
    Ja natürlich. Die Beziehungen zu ausländischen Politikern sind unterschiedlich eng. Meine persönlich engste Beziehung war zum Beispiel die zum damaligen Staatspräsidenten Vaclav Havel in Prag. Ein wunderbarer Mann! Und dem konnte ich auch freundschaftlich helfen in der Zeit des politischen Umbruchs, als er zunächst noch mit halbem Bein im Gefängnis saß.
    Sie konnten ihm Tipps geben oder ihn beschützen?
    Ach, da gibt’s so Geschichten, die sind fast komisch … Er hat mich zum Beispiel mal angerufen und gesagt, ich soll ihm doch bitte einen vertrauenswürdigen Ingenieur schicken. Weil in seinem Büro noch lauter Abhörgeräte waren, und er brauchte jemanden, der die alle entdeckt und entfernt …
    Was ist Ihrer Ansicht nach das wichtigste außenpolitische Thema heute und in Zukunft?
    Die Welt ist in einem starken und ziemlich schwer durchschaubaren Veränderungsprozess. Amerika ist nach wie vor das mächtigste Land. Es ist eine wirkliche Nation, die vom Präsidenten und der politischen Führung tatsächlich angeführt wird. In Europa ist dieselbe Art von Nation im Rückgang begriffen, weil zugleich eine Europäische Union entsteht. Dieser Umwandlungsprozess in Europa wird uns noch lange beschäftigen.
    Fragt sich nur, ob man mit diesem europäischen Zusammenwachsen die Menschen politisch genauso unmittelbar berühren kann wie etwa mit den Themen »Versöhnung nach dem Krieg« oder »deutsche Wiedervereinigung«.
    Ja, das ist nicht leicht. Denn was wir vor allem zustande gebracht haben, den Binnenmarkt in Europa, der berührt zwar auch jeden Bürger in der einen oder anderen Weise, ist aber nicht jedem verständlich. Zum Beispiel spricht Europa in der Welthandelsorganisation WHO mit einer Stimme, das ist gut. Aber was die WHO und der europäische Vertreter dort tun und sagen, das

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