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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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ist für den normalen Bundesbürger im Alltag doch furchtbar weit entfernt …
    … es berührt nicht die Herzen der Menschen …
    Und doch müssen wir sehen: Seit dem 1. Mai 2004 sind wir in einer Situation, wie es sie in der deutschen Geschichte nie zuvor gegeben hat. Wir haben ja neun Nachbarn. Nur die beiden Riesenreiche Russland und China haben mehr Nachbarn als wir. Und wir sind ein verhältnismäßig kleines Land, liegen aber in der Mitte Europas. Seit dem 1. Mai 2004 sind außer der Schweiz alle unsere Nachbarn Mitglieder der Europäischen Union. Und keiner hat mehr vor seinen Nachbarn Angst! Man hat Interessengegensätze und streitet sich darüber, aber es ist ein Frieden in diesem Europa entstanden, den es früher nie gegeben hat. Und das darf man niemals vergessen. Meine Kinder und Enkel mögen die Europäische Union für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber das ist sie geschichtlich gesehen eben nicht. Und man muss das Bewusstsein dafür wachhalten, damit wir alle verantwortlich damit umgehen, was erreicht worden ist an Freiheit und Frieden.
    … dass wir eines Tages mit Europafähnchen so winken wie mit Schwarz-Rot-Gold, ist trotzdem schwer vorstellbar …
    Vollkommen richtig. Aber ich sage ja nicht, dass Europa auf dem Wege dazu ist, eine Nation zu werden wie alte herkömmliche Nationen, wie Amerika. Aber Sie können in einer Welt der offenen Grenzen gar nicht anders als lernen, zusammen zu handeln. Europa muss weiter zusammenrücken, eine gemeinsame Stimme finden. Und das dauert eben alles. Das ist der Vorteil eines alten Mannes – man weiß: Es dauert, aber es kommt …
    Es ist insgesamt schwerer geworden, sich für Politik zu begeistern. Eher scheint Politik immer langweiliger zu werden. Auch die politischen Reden, die heute gehalten werden, sind oft nicht gerade aufregend …
    Ja, es gibt ja auch eine Tendenz, wonach die Bedeutung der Regierungsapparate gegenüber den Parlamenten gewachsen ist. Die großen Parlamentsdebatten sind immer mehr die Ausnahme geworden. Die letzte wirklich große Debatte, die wir noch im alten Westdeutschland geführt haben, war Anfang der siebziger Jahre, als es um die Entspannungspolitik ging, um den Moskauer Vertrag und den Warschauer Vertrag. Da ging es ja in Wirklichkeit um die Anerkennung der Strafen für den Zweiten Weltkrieg und um die Einsicht, dass man mit diesen ehemaligen Kriegsgegnern wieder in Kontakt kommen muss. Das haben nicht nur die vielen Millionen Heimatvertriebenen, sondern auch ungezählte Westdeutsche damals als etwas empfunden, was sie unmittelbar angeht. Da wurde man als Abgeordneter auf der Straße angesprochen, was man dazu im Parlament gesagt hatte. Aber die Themen heute, etwa die Frage der Europäischen Entscheidungen für einen besseren Wettbewerb im europäischen Markt und der Verhinderung von Kartelleinflüssen – das können wir als normale Menschen oft nicht genügend durchschauen und können uns dafür dann auch nicht recht erwärmen.
    Sie selbst haben am 8. Mai 1985, zum Tag des Kriegsendes, eine der berühmtesten Reden überhaupt gehalten. War Ihnen damals eigentlich bewusst, welche Wirkung diese Rede haben würde, als Sie zum Mikrofon gingen?
    Nein, überhaupt nicht. Ich gebe zu: Der Krieg, die deutsche Geschichte, war das zentrale Thema, um das mein Verstand und Herz kreisten. Es war das zentrale Thema meiner Generation. Ich war ja am ersten Kriegstag als Soldat in Polen einmarschiert usw., ich habe das alles miterlebt gehabt …
    … Sie waren also innerlich bewegt, als Sie damals zum Mikrofon gingen …
    Ganz gewiss. Es ging darum, dass wir Rechenschaft ablegen, ob wir Deutsche verstanden haben, wo wir herkommen. Diesem Ziel diente die Ansprache. Es hat dann vor allem auch im Ausland positive Reaktionen gegeben, mit denen ich so gar nicht gerechnet hätte. Es ging ja in erster Linie um Gedankengänge und eine Ansprache für mich und meine Landsleute.
    Ist die Fähigkeit, gute Reden zu halten, das »Redenkönnen«, das wichtigste Instrument für einen Politiker?
    Das wichtigste vielleicht nicht, aber ein Politiker sollte schon sagen können, was er auf dem Kasten hat! Und auf dem Herzen …
    Eine Rede ist also gut, wenn sie auch emotional ist?
    Man sollte vor allem als Zuhörer niemals den Eindruck haben, hier wiederholt einer nur, was er schon immer sein ganzes Leben lang als sein Hobby oder seine Hauptrichtung betrachtet hat. Sondern es steht dem Amt gut an, wenn man über die laufenden Veränderungen spricht, mit denen man

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