Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
es zu tun hat, wenn man zu den wichtigen Fragen der Zeit etwas beiträgt.
Man hört häufig, dass es unter den Politikern heutzutage kaum noch mitreißende Redner gibt …
Gelegentlich gibt es die Frage, ob die heutige Politikergeneration positiv verglichen werden kann mit ihren Vorgängern. Wahr ist, dass früher immer wieder wirklich sehr schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden mussten. Bezogen auf Westdeutschland zum Beispiel, ob man unmittelbar nach dem Krieg der amerikanischen Forderung folgen sollte, wieder eine Bundeswehr aufzustellen. Oder, als anderes Beispiel: der Umgang mit der RAF . Oder die erste große Ölkrise – wie man damit umgehen sollte. Oder denken Sie an den deutschen Wiedervereinigungsprozess … Heute hingegen scheint vieles leichter und ist möglicherweise doch oft schwer. Es ist vielleicht sogar schwerer geworden, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen.
Zum Beispiel?
In einer Gesellschaft, der es im Vergleich zu früheren Zeiten materiell wirklich besser geht und bei der dennoch ein Gefühl sich ausbreitet, es ginge nicht gerecht zu – darüber kann man ja nicht einfach so hinweggehen! Oder die Frage, inwieweit Verhaltensfreiheit die Menschen untereinander zu Grobheit und Gewalt verführt anstatt zu einem verantwortlichen Miteinander. Den Höhen und Untiefen unserer Zeit auf die Spur zu kommen, ist schwer geworden.
Es ist heute also schwerer, gute Reden zu halten, weil die Themen sich dafür weniger gut eignen?
Darüber zu sprechen, was die Hauptaufgaben unserer Zeit sind, ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe für Politiker. Gerade auch für den Bundespräsidenten, der ja unabhängig davon sein soll, was bei der nächsten Wahl populär ist. Wir haben zum Beispiel immer wieder die Schwierigkeit, dass Lösungen für Probleme erst langfristig zustande kommen. Damit meine ich: in einer längeren Zeit als der nächsten Legislaturperiode. Die Fraktionen in den Parlamenten sind aber nur für eine Periode gewählt und wollen dann wiedergewählt werden. Daher scheint es doch ihren Interessen zu widersprechen, an einem langfristigen Ziel zu arbeiten, das innerhalb einer Legislaturperiode noch keine Früchte abwirft. Die Politiker haben da die Versuchung, Mehrheiten zu bekommen, ich will nicht sagen: um jeden Preis, aber manchmal schon um einen zu billigen Preis.
Würden Sie jungen Leuten heute denn noch raten, Politiker zu werden?
Ja!
Warum?
Aus Freiheitsfreude! Die jungen Leute sollen die Freiheit benützen, um voranzuschreiten. Sie sollen die Freiheit gestalten und bewahren und dafür Verantwortung übernehmen.
Welche Eigenschaft braucht man dazu als Politiker vor allen Dingen?
Zur verantwortlichen Freiheit gehören Grundsätze, die unverrückbar sind. Das ist das Gewissen. Man kann sich orientieren nach Mehrheiten oder nach Interessen, und bei Interessenstreitigkeiten kann es auch Krach geben. Aber am Ende kommt man zu dem Punkt, da kann man sich nur nach seinem Gewissen entscheiden.
Was macht die Bundeskanzlerin den ganzen Tag?
Als Bundeskanzler muss man Frühaufsteher sein, ob man will oder nicht. Bei Frau Merkel zum Beispiel klingelt immer schon um sechs Uhr der Wecker. Spätestens um acht Uhr ist sie im Büro, meistens kommt sie schon gegen sieben. Ihr erster fester täglicher Termin ist die »Morgenlage« um 8.30 Uhr. Das machen alle Bundeskanzler so. Sie sitzen dann mit ihren engsten Mitarbeitern in ihrem Büro und bereiten sich auf den Tag vor. Sie besprechen also am Morgen die allgemeine Lage, daher der Begriff.
Die wichtigsten Mitarbeiter eines Kanzlers sind dabei nicht die Minister, wie man vielleicht denken könnte. Manche Minister kann ein Bundeskanzler sogar persönlich nicht mal leiden. Bei der Auswahl seines Kabinetts ist ein Bundeskanzler ja nicht frei, denn es müssen alle möglichen Wünsche berücksichtigt werden, und bei einer Koalitionsregierung sind natürlich auch Mitglieder der anderen Partei dabei, mit denen ist man sowieso schon nicht so enge. Die wahren Vertrauten eines Kanzlers sind andere Leute. Bei der Morgenlage, wie sie mit Kanzlerin Merkel stattfindet, sitzen meist folgende Mitarbeiter im Zimmer:
Die Büroleiterin: Mit ihr muss man sich gut stellen, wenn man was von der Kanzlerin will. Das hat Tradition, auch die Büroleiterinnen von Gerhard Schröder und Helmut Kohl waren sehr einflussreiche Frauen, an denen keiner vorbeikam. Und bisher waren es immer Frauen. Bei Kanzlerin Merkel ist es Beate Baumann, mit der sie sehr eng ist, auch wenn
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