Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
machtbesessen sind, dann macht die Demokratie aus ihnen keine selbstlosen Charaktere. Und Politiker sind eben auch ganz normale Menschen …
Sie haben den Parteien einmal vorgeworfen, »machtbesessen« und »machtversessen« zu sein …
Na ja, damit ist gemeint: Der Kampf um die Macht ist legitim. Aber er muss immer der Lösung politischer und sozialer Probleme dienen. Und das wird allzu oft umgedreht. Da geht es dann gar nicht mehr um Problemlösungen, sondern nur noch darum, seinen Machtvorsprung auszubauen oder die Aussicht auf Macht zu vergrößern. Weil die Menschen eben so sind, wie sie sind.
Haben die Parteien es denn zugelassen, dass Sie als Bundespräsident unabhängig waren, oder hat man versucht, sich einzumischen, sodass Sie sie abwehren mussten?
Solche Versuche habe ich nie erlebt und habe dazu auch keine Veranlassung gegeben!
Das glauben wir Ihnen ja nicht so ganz … Gab es nie Konflikte?
Nun, man kann schon auch in innere Konflikte geraten. Angefangen zum Beispiel mit Personalentscheidungen. Der Bundespräsident unterschreibt ja die Ernennungsurkunden für Bundesminister und hohe Beamte – obwohl er ja gar nicht derjenige ist, der sie auswählt. Einmal ist es sogar vorgekommen, dass ein Bundespräsident die Ernennung eines Ministers abgelehnt hat! Das war also sogar möglich – wenn auch die krasse Ausnahme. Insofern unterschreibt man als Bundespräsident in der Regel auch Ernennungsurkunden für Leute, die man noch aus ganz anderen Zusammenhängen kannte, vielleicht mit ihnen im Clinch war. Das kommt vor.
Man muss also manchmal auch Ernennungsurkunden für Personen unterschreiben, die man persönlich gar nicht schätzt, was dann im Einzelfall ziemlich unangenehm sein kann …
Ja, es geht beim Unterschreiben eben nur darum, ob die Ernennung in einem verfassungsmäßigen Sinne zu beanstanden ist. Persönliche Vorlieben und Meinungen dürfen dabei keine Rolle spielen. Auch beim Unterschreiben von Gesetzen geht es nur darum, dass der Bundespräsident bekundet, dass das Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Ob er sich selbst vielleicht ein anderes Gesetz gewünscht hätte, spielt dabei keine Rolle. Und auch die letztendlich verbindliche Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit liegt nicht beim Bundespräsidenten, sondern beim Bundesverfassungsgericht.
Und trotzdem ist das Unterschreiben von Urkunden und Gesetzen eine der wichtigsten Funktionen des Bundespräsidenten?
Immerhin kann man die Unterschrift verweigern, was aber nur sehr selten vorgekommen ist. Ich habe auch mal ein Gesetz nicht unterschrieben, aus Verfassungsgründen. Und Bundespräsident Johannes Rau hat einmal das Zustandekommen eines Gesetzes ausdrücklich gerügt. Da ging es um das umstrittene Zuwanderungsgesetz, bei der Abstimmung hatte es einen Eklat im Bundesrat gegeben. Der Bundespräsident hat dann gesagt, er missbillige die Art und Weise des Zustandekommens, und er unterschreibe es jetzt nur mit dem ausdrücklichen Ziel, dass das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung zugeleitet wird. Damit hatte er damals übrigens auch vollkommen recht.
Dieses Recht, Gesetze zu unterschreiben und auch zu prüfen, ob sie zweifelsfrei verfassungsgemäß zustande gekommen sind – das ist aber doch wahrscheinlich nicht das, was diesen Job attraktiv macht, oder?
Über die Frage, ob das Amt attraktiv ist oder nicht, habe ich nicht nachgedacht, bevor ich dort hineingewählt wurde. Man strebt dieses Amt doch nicht an! Man kann aber der Überzeugung sein, dass es ein notwendiges Amt ist.
Sind wir als Demokratie denn inzwischen nicht so stabil, dass man den Bundespräsidenten als Aufpasser eigentlich gar nicht mehr so braucht?
Ich glaube schon, dass die Demokratie immer wieder der kritischen und heilenden Beobachtung bedarf. Nicht um aus uns allen Engel zu machen … Aber um darüber zu wachen, dass wir unsere Freiheit verantwortlich nutzen. Auch, um einer nachwachsenden Generation klarzumachen: Freiheit bewährt sich in der Verantwortung, die wir übernehmen. Diese Verantwortung ist für eine Bundeskanzlerin natürlich größer als für eine junge Abiturientin. Aber auch die Abiturientin wächst in etwas hinein, das auch sie angeht, sie steht da nicht außen vor. Daran muss immer wieder erinnert werden.
Der Bundespräsident wird nicht direkt vom Volk gewählt, was ihm Macht verleihen würde. Er darf Gesetze nur unterschreiben, aber nicht selbst machen. Kann der Bundespräsident denn trotzdem eine Form von Macht
Weitere Kostenlose Bücher