Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
als er noch Oppositionspolitiker in Niedersachsen war. Damals hatte er gesagt: »Ein Politiker braucht eine Grundsensibilität, dass man Dienstliches und Privates strikt trennt, schon den Anschein von Korrumpierbarkeit und Abhängigkeiten vermeidet.« Das war 1999, und der SPD -Ministerpräsident Glogowski stürzte über eine gesponserte Hochzeitsparty. Jahre später erweckte Herr Wulff selbst den Eindruck, dass er sich hier und da gerne sponsern ließ, ein Upgrade im Flieger hier, ein Hotelzimmer da, ein Hauskredit von einem väterlichen Freund, der ihn zugleich auf Dienstreisen begleiten durfte. Die Presse begann ihn zu jagen – wie ein respektabler Bundespräsident, der über den Dingen steht, sah er da nicht mehr aus. Dann beging er auch noch den tödlichen Fehler, dem Chefredakteur der Bild -Zeitung einen wütenden Anruf auf Mailbox zu hinterlassen. Da er gerade auf einer Reise in arabischen Ländern war, begann er seine Tirade mit den Worten »Ich bin gerade auf dem Weg zum Emir …«. Daraus ist ein geflügeltes Wort geworden, das ihn als Staatsoberhaupt der Lächerlichkeit preisgab. Damit war die Würde des Amtes tatsächlich beschädigt. In den Medien hatte er verspielt, und als schließlich die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Bestechlichkeit aufnahm, war er als Bundespräsident nicht mehr tragbar. Wäre er Ministerpräsident von Niedersachsen geblieben, hätte er vermutlich noch jahrelang unbehelligt weiterregieren können, trotz diverser Vorwürfe, die im Raum standen. Aber Bundespräsident? Da steht man unter einer sehr speziellen Beobachtung.
Und für Angela Merkel ist es eine bittere Erkenntnis und eine herbe politische Niederlage, dass sie gleich zweimal hintereinander einen ungeeigneten Mann in dieses Amt gehievt hat. Dabei hatte sie sich das Ganze beide Male so schön gedacht: Horst Köhler wählte sie 2004 aus, weil ihr der wirtschaftsliberale Ökonom vom Internationalen Währungsfonds ein guter Begleiter zu sein schien für eine reformfreudige Koalition mit der liberalen FDP , von der sie fest ausging. Die Mehrheit in der Bundesversammlung hatte Schwarz-Gelb eigentlich ziemlich sicher. Also kungelten Merkel und Guido Westerwelle unter sich aus, wen sie gern im Präsidentenamt sehen wollten. Doch es kam anders. Köhler wurde zwar Präsident und Merkel bald darauf auch Kanzlerin, aber nicht mit Guido Westerwelle, sondern in einer großen Koalition mit der SPD . Der wirtschaftsliberale Reformpräsident Köhler wirkte in dieser Konstellation etwas deplatziert. Auch die Sache mit Christian Wulff hatte sich Merkel anders vorgestellt. Er war ihr schärfster parteiinterner Konkurrent, wurde sogar als möglicher Kanzler gehandelt, falls die Union mit Merkel nicht mehr glücklich sein sollte. Ihn nach Schloss Bellevue abzuschieben, schien ein geschickter Schachzug: So wird man Konkurrenten los, und ein allzu starker Präsident würde er wohl auch nicht werden, das ahnte Merkel vermutlich. Dass es dann so schlimm kommen würde, ahnte sie aber natürlich nicht. Am Ende bekam sie doch noch den beliebten Joachim Gauck als Schlossherrn, den sie nicht gewollt hatte. Auch ein Ostdeutscher, auch ein Protestant; eigentlich haben die beiden viel gemeinsam und mögen sich persönlich. Aber geplant war alles ganz anders.
Die Macht des Wortes
Einer der beliebtesten Bundespräsidenten war Richard von Weizsäcker (1984 bis 1994 im Amt). Er prägte in vieler Hinsicht den Idealtyp des deutschen Bundespräsidenten: ein hochgebildeter Mann, auch noch mit Adelstitel (was nichts aussagt, aber in den Ohren vieler Bürgern doch gut klingt), er strahlte Lebenserfahrung und Autorität aus und war in seinem öffentlichen Auftreten formvollendet. Aber das allein war’s nicht. Weizsäcker erlangte den Ruhm, der bisher vielleicht beste Bundespräsident gewesen zu sein, auch, weil er ein geschliffener Rhetoriker war. Und er traute sich, den Deutschen Unangenehmes zu sagen, nämlich deutliche Worte zur deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg. Er war der Präsident, der die Macht des Wortes exemplarisch vorführte. Obwohl er bei Amtsantritt noch CDU -Mitglied war (er gab sein Parteibuch später ab), galt er außerdem als unparteiisch und übte scharfe Kritik am Gebaren der Parteien. Weizsäcker ist gewissermaßen der »Prototyp«, den sich die meisten Deutschen unter einem Bundespräsidenten vorstellen. Der aktuelle Bundespräsident Joachim Gauck wirkt ein bisschen wie ein Wiedergänger von Richard von Weizsäcker. Allerdings hat
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