Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
guten Eindruck.
    Ohne Fachleute geht es nicht, aber wer hat am Ende recht?
    Die Einfallstüren für Lobbyisten sind vor allem dann groß, wenn die Themen besonders komplex sind. Politiker müssen in solchen Fällen zwangsläufig Fachleute zurate ziehen – Fachleute sind aber selten neutrale Wesen, die vom Himmel fallen, sondern häufig Spezialisten aus Unternehmen oder Verbänden. Je komplizierter etwas ist, desto sinnvoller erscheint es daher einerseits, auf die Fachleute zu hören. Es ist ja auch ihr gutes Recht, Politikern ihre Argumente vorzutragen und zum Beispiel Zahlen zu präsentieren. Andererseits: Wie sichert man am Ende die Neutralität der Entscheidung?
    Eines der heißesten Themen der letzten Jahre war die Reform der Krankenversicherung, weil es da um viele hundert Milliarden Euro geht. Und tatsächlich haben sich rund um das zuständige Gesundheitsministerium in Berlin 430 Lobbyverbände niedergelassen, die versuchen, das jeweilige Interesse ihrer Auftraggeber durchzusetzen. In Berlin agieren, schätzt man, insgesamt rund 4500 Lobbyisten; in Brüssel sollen es sogar zwischen 10000 und 25000 sein. Dagegen ist die Zahl der Parlamentarier ein kleines Häufchen!
    Dabei muss man unterscheiden zwischen grundsätzlicher Interessenvertretung, die meist durch Verbände wahrgenommen wird, und konkretem Lobbying. Wirtschaftsverbände vertreten gebündelt die Wünsche zahlreicher Mitglieder. Lobbyisten wollen im Normalfall nur punktuell ein Ziel erreichen. Als starke Lobbyisten gelten beispielsweise die vier Energieerzeuger E.On, RWE , Vattenfall und EnBW. Sie profitieren von hohen Preisen in ihren Versorgungsgebieten. Denn die Energiemärkte wurden zwar offiziell liberalisiert und für den Wettbewerb geöffnet – tatsächlich wartet man aber noch auf den großen Wettbewerb, der die Preise drücken soll. Die Energiekonzerne haben enge Verbindungen zur Politik, natürlich auch, weil Energiefragen für die gesamte Bevölkerung sehr wichtig sind. Manchmal kommt es da auch zu überraschenden neuen Interessenverbindungen: Die Atomwirtschaft zum Beispiel ist sehr angetan vom Klimaschutz. Ihr Argument: Wer den CO ₂ -Ausstoß reduzieren will, der sollte auf Atomkraft setzen, statt auf Kohle und Öl, denn Atomkraftwerke dampfen kein Kohlendioxid in die Luft. Also ist die Atomlobby höchst interessiert an Themen wie Erderwärmung, Ozonloch usw. Seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima nutzt ihr das allerdings auch nicht mehr viel.
    Selbst wenn eine Lobby in Berlin offen agiert, bleibt ihr Handeln in der breiten Öffentlichkeit meist unbemerkt. Wichtige Gespräche finden auf Sektempfängen und bei Dinnereinladungen statt; Drohungen werden nicht ausgesprochen, sondern nur angedeutet; Entgegenkommen wird signalisiert, aber nicht versprochen. So kann man nichts nachweisen und muss auch nichts melden.
    Alle großen Firmen und Verbände haben mittlerweile Büros in Berlin. Und das hat seinen Sinn, denn formal und offiziell darf ja niemand Politik machen außer den Volksvertretern. Je unauffälliger und rechtzeitiger eine Lobby also tätig wird, desto größer ihre Chance, Erfolg zu haben, weil niemand sich offiziell distanzieren muss. Genau hier liegt aber das Problem, denn in der Demokratie ist größtmögliche Transparenz der Entscheidungsfindung gewünscht. Und allzuoft kann man nur etwas vermuten, aber nicht belegen. Zum Beispiel verhinderten in den Neunzigerjahren die damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel, Wolfgang Clement und Gerhard Schröder eine Arzneimittel-Positivliste, die viele Medikamente von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgenommen hätte. In den von ihnen regierten Bundesländern lagen die Zentralen der Pharmakonzerne Bayer, Merck, Hoechst und Wellcome. Zufall? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hat die Pharma-Lobby angedeutet, dass genau in diesen Bundesländern Arbeitnehmer in der Pharma-Industrie entlassen werden müssten, wenn die Umsätze wegen dieser Liste zurückgehen. Vielleicht wussten die Ministerpräsidenten das auch von ganz allein, und die Pharma-Leute haben ihnen dazu nur noch die passenden Zahlen geliefert und die Argumente, warum dieses oder jenes Medikament willkürlich gestrichen wurde. Vielleicht.
    Und auch wenn ein ehemaliger Wirtschaftsminister wie Wolfgang Clement nach dem Abgang aus der Politik einen schönen Job beim Energiekonzern RWE bekommt, kann man dagegen nichts sagen. Doch seine Partei, die SPD , wurde richtig wütend, als er 2008 in den

Weitere Kostenlose Bücher