Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
vierten Kind sind es sogar 215 Euro. Bei zehn Kindern macht das satte 2063 Euro im Monat. Ohne auch nur aufzustehen! Klingt gut, aber: Bei zehn Kindern kommt man auch mit 2000 Euro kaum aus. Und: Was bringt das eigentlich der Gesellschaft insgesamt? Welche Ziele werden damit verfolgt?
Eingeführt wurde das Kindergeld 1936, also unter den Nazis. Damals gab es für Arbeiter und Angestellte, die weniger als 185 Reichsmark im Monat verdienten, ab dem fünften Kind zehn Reichsmark Zuschuss. Sinn der Sache war eindeutig, das Kinderkriegen sachlich wie symbolisch zu belohnen, denn die Nazis wollten die Welt erobern – und dafür brauchte der » Führer « Volk (und sei es als Kanonenfutter). Ab 1954 gab es auch in der Bundesrepublik Kindergeld und andere Unterstützungsmaßnahmen, zum Beispiel fuhren Kinder vielköpfiger Familien zum halben Preis mit der Bahn. Inzwischen werden etwa 189 Milliarden Euro jährlich für ehe- und familienbezogene Leistungen fällig. Das schließt Steuerersparnis durch »Ehegattensplitting« ebenso ein wie Kindergeld, Elterngeld, beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der Krankenkasse usw. Die Summen, die für »Familienpolitik« ausgegeben werden, sind stetig gestiegen. Die Geburtenrate ist trotzdem weiter gesunken und tut es immer noch. 1960 hatte jede Frau zwischen 15 und 45 im Schnitt noch 2,3 Kinder, heute sind es nur noch 1,3. So einfach scheint es also nicht zu sein mit dem Zusammenhang zwischen Geld und Kinderkriegen.
Kanzler Konrad Adenauer konnte Anfang der sechziger Jahre noch sagen: »Kinder kriegen die Leute immer« – das war allerdings auch deshalb so, weil es damals noch keine Antibabypille gab. Das Familienbild hat sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre entscheidend verändert; für die Familienpolitik scheint es schwierig, hinterherzukommen. Direkt nach dem Krieg hatten die Frauen gezwungenermaßen viele Männerpositionen besetzt und oft auch eine eigene Arbeit ausgeübt. Die »Rückkehr zur Normalität« (Mann arbeitet, Frau bleibt zu Hause) konnte mit dem Kindergeld unterstützt werden. Und da Kinder teuer sind, kam der Staat damit auch seiner besonderen Fürsorgepflicht gegenüber Familien nach. Immerhin kostet ein Kind bis zur Volljährigkeit im Durchschnitt etwa 120000 Euro (für Essen, größere Wohnung, Kleidung, Möbel, Ausbildung etc.). Dabei nutzt der Nachwuchs der gesamten Gesellschaft, die finanzielle und zeitliche Belastung bleibt aber bei den Eltern. Das soll ausgeglichen werden.
Inzwischen will die Familienpolitik aber mehr, nämlich nicht nur Kinder unterstützen, wenn sie bereits da sind, sondern die Bevölkerung auch animieren, überhaupt Kinder zu bekommen. Verlieben müssen sich die Leute schon selber, aber wenigstens sollen Eltern finanziell entlastet werden, damit sie sich nicht aus Geldgründen gegen Kinder entscheiden oder sich nur ein Kind zutrauen, obwohl sie eigentlich gern noch ein zweites hätten. Deshalb wurde die Familienförderung aufgestockt, direkt wie indirekt: Elterngeld, Kita-Anspruch, mehr Ganztagsschulen. Mindestens so hilfreich wären flexiblere Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen, aber das kann die Politik nicht vorschreiben. Die Wirtschaft muss schon selbst erkennen, welch ein ökonomischer Irrsinn es ist, dass Frauen erst teuer ausgebildet werden, in Schulen, Universitäten und Betrieben, um genau dann, wenn sie besonders leistungsfähig wären, mehr oder weniger in der Versenkung zu verschwinden.
Das ist nüchtern betrachtet eine gewaltige Verschwendung. Ökonomen sprechen hier sogar von »verschwendeten Humanressourcen«, was zugegebenermaßen etwas skurril klingt, rein ökonomisch betrachtet aber zutrifft: Eine Juristin hat erst ewig studiert, hat dann im Beruf erfolgreich Fuß gefasst, war im Ausland, sammelt all die Erfahrungen, die man sammeln muss, um wirklich gut zu werden in seinem Job. Sie wird immer besser, ein großer Konzern wirbt sie an für seine Rechtsabteilung, sie steht mit Mitte dreißig »voll im Saft« und könnte genau jetzt durchstarten für eine große Karriere und ihrem Unternehmen überaus nützlich sein – und genau dann wird sie »auf den letzten Drücker« (mit Mitte oder gar Ende dreißig ist es biologisch nun mal allerhöchste Zeit) schwanger. Ihr Mann, auch ein Jurist, hat damit kein Problem. Sie schon. Er klettert die Karriereleiter weiter nach oben, wird Partner in einer großen Kanzlei, bringt seine Ausbildung und sein Wissen hundertprozentig ein. Sie nicht. Obwohl hoch qualifiziert
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