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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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sofort benachteiligt und ungerecht behandelt.
    2. Kein Gesetz wird beraten, ohne dass Lobbyisten versuchen, Einfluss zu nehmen.
    3. Es gibt selten eine wirklich gerechte Regelung, die alle glücklich macht.
    4. Wenn der Föderalismus ins Spiel kommt, wird es noch komplizierter.
    Wer dafür ist, stimmt manchmal trotzdem dagegen
    In der parlamentarischen Wirklichkeit ist es aber keineswegs so, dass eine Partei immer für ein Gesetz stimmt, nur weil sie das Gesetz befürwortet. Manchmal kommen taktische Manöver ins Spiel. So stimmte die CSU -Landesgruppe im Bundestag kurz vor der Landtagswahl in Bayern 2008 gegen eine Wiedereinführung der Pendlerpauschale. Dabei hatte sie sich doch monatelang dafür eingesetzt, es war ihr Hauptwahlkampfthema! Warum um Himmels willen sagten die Abgeordneten jetzt Nein? Weil der Gesetzesantrag dazu nicht von ihnen kam – sondern von Der Linken, sozusagen dem natürlichen Feind der CSU . Die Linke hatte einen Antrag zur Wiedereinführung der Pendlerpauschale gestellt, der präzise dem entsprach, was die CSU forderte.
    Was sollte das? Die Linke lachte sich ins Fäustchen, denn mit ihrem Antrag trieb sie die Konservativen von der CSU vor sich her. Eigentlich hätte die CSU dem Gesetzesantrag der Linken im Bundestag zustimmen müssen – inhaltlich war er schließlich identisch mit ihrer Forderung. Doch natürlich wollte die CSU auf überhaupt gar keinen Fall gemeinsame Sache mit den Linken machen! Außerdem hätte sie sich damit gegen ihre beiden Koalitionspartner in der Bundesregierung gestellt ( CDU und SPD ). Also stimmten die Bayern gegen den Antrag, obwohl sie inhaltlich dafür waren. Natürlich schimpften die CSU ler gewaltig (»durchsichtiges Manöver«), aber es half ihnen nichts: Am Ende mussten sie zähneknirschend etwas ablehnen, was sie eigentlich selbst wollen. Diesen Trick, einen Antrag im Parlament einzureichen, der exakt den Forderungen einer gegnerischen Partei entspricht, wenden parlamentarische Außenseiter öfter an. Damit kann man die anderen etablierten Parteien ärgern, man kann sie vorführen (»denen geht’s ja gar nicht um die Inhalte«), man kann Unruhe in einer Koalition stiften, und man kann auf populäre Themen aufspringen. Auch Die Linke war schließlich im Wahlkampf und wollte den bayerischen Wählern zeigen: »Seht her, wir sind ja auch für eure Pendlerpauschale und würden gemeinsam mit der CSU für euch kämpfen, wenn die CSU uns nur ließe!«
    Besonders bizarr war dabei noch, dass Die Linke für eine Pendlerpauschale stimmte, die ihrer eigenen Wählerzielgruppe kaum etwas bringt. Die Pauschale setzt nämlich voraus, dass man einen Arbeitsplatz hat und dort auch genug verdient, um überhaupt Steuern zu zahlen (denn wer ganz wenig verdient, zahlt ja keine Steuern). Auf den Kreis typischer Linkswähler (Arbeitslose, Hartz- IV -Empfänger, Mini-jobber, Rentner, Studenten) trifft das aber gar nicht zu. Denen nützt die Pauschale also überhaupt nichts. Kleinverdiener haben statistisch ebenfalls nur selten weite Wege zum Job. Sie wohnen oft nah an ihrem Arbeitsplatz: zum Beispiel der Fabrikarbeiter in der Wohnsiedlung nur wenige Kilometer vom Autowerk entfernt. Richtig profitieren von der Pendlerpauschale kann hingegen ein Bankmanager, der im vornehmen Königstein im Taunus wohnt und jeden Tag mit dem Mercedes nach Frankfurt fährt. Außerdem entlasten derartige Steuerpauschalen Besserverdiener grundsätzlich stärker: Wird das zu versteuernde Einkommen kleiner, weil man die Pendlerpauschale abziehen darf, spart jemand mit hohem Einkommen viel mehr Steuern als einer, der ohnehin schon wenig verdient. Das liegt daran, dass man prozentual umso mehr Steuern zahlt, je mehr man verdient – wie wir im ersten Kapitel schon gesehen haben.
    Insgesamt ist die Pendlerpauschale also eine Steuererleichterung nicht für die »kleinen Leute«, sondern für Angestellte in der Mitte und weiter oben. Für diejenigen, die zum Beispiel ein Eigenheim im Grünen haben, statt in den Hochhäusern in den Innenstädten zu wohnen. Wie komisch, dass sich die sozialistische Linke ausgerechnet für die bürgerlichen Vorortbewohner stark macht … Aber es war eben Wahlkampf, da ist jeder Trick erlaubt, und bei den Wählern ist die Pendlerpauschale nun mal populär. Sie klingt bürgerfreundlich, und die wenigsten wissen, wem sie tatsächlich welchen Nutzen bringt. Jeder, der jemals auch nur wenige Euro durch die Pendlerpauschale bekommen hat, will sie zurückhaben – da ist es dem

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