Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
hessischen Wahlkampf eingriff und öffentlich davon abriet, SPD zu wählen – weil die für eine falsche Energiepolitik stünde. Die hessische SPD war nämlich gegen Kohlekraftwerke und gegen Atomkraft. Und das muss jemand, der für den Energiekonzern RWE arbeitet, natürlich ablehnen. Als Clement deshalb vor seiner eigenen Partei warnte, wurde ihm Verrat vorgeworfen. Allerdings war Clement da nicht mehr aktiver Politiker, also nicht in Gesetzgebungsprozesse eingebunden. Clement trat übrigens 2008 nach Parteiordnungsverfahren gegen ihn aus der SPD aus.
Bleibt also die Frage: Wie soll man kontrollieren, ob jemand bei Abstimmungen seinem Gewissen folgt oder Gefälligkeiten erwidert? Die Lösung wäre eine Politik im luftleeren Raum, ohne Kontakt zur Außenwelt.
Lobbyisten mit gutem Gewissen
Eine Lobby muss sich übrigens nicht direkt an die Politiker wenden, sondern kann auch die Bürger selbst ansprechen und versuchen, sie zu beeinflussen. Das »Bürgerkonvent«, die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (Vorsitzender des Kuratoriums: Wolfgang Clement) oder das »Konvent für Deutschland« beispielsweise schalten bergeweise Anzeigen, um »die Uneinsichtigkeit der Bevölkerung« zu bekämpfen. Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe usw. müssten reduziert werden. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wird dabei von den Arbeitgebern der Metall-Industrie finanziert. Das wissen aber viele Leute nicht, sondern denken, das seien unabhängige Leute, die sich auskennen und immer wieder neue Studien veröffentlichen.
Überhaupt: Mit Studien und Experten ist das so eine Sache. Neutral sind sie eigentlich nie, obwohl sie so wirken. Wenn ein Ministerium ein neues Gesetz auf den Weg bringen will, dann beauftragt es dafür eben Experten, die eine Studie erstellen, mit der die jeweilige Meinung des Ministers fachmännisch unterstützt wird, zum Beispiel »Atomkraft ist gefährlich«. Es gibt natürlich auch Experten, die Atomkraft für ungefährlich halten, aber die würde ein Umweltminister, der selbst Atomkraftgegner ist, in diesem Fall nicht beauftragen. Auch die vielen Professoren, die als »Wirtschaftsweise« im Fernsehen auftreten, sind keineswegs von neutraler Weisheit umhüllt, sondern haben konkrete wirtschaftspolitische Ansichten, die zum Beispiel eher marktwirtschaftlich-liberal oder eher sozialdemokratisch sind. Das ist auch in Ordnung. Man sollte es nur wissen: Es gibt keine neutralen Experten.
In der Europäischen Union ist es übrigens nicht anders. Nirgendwo ist es für Interessengruppen, Verbände und große Unternehmen so wichtig, auf Gesetze Einfluss zu nehmen, wie in Brüssel. Denn diese Gesetze gelten dann ja gleich europaweit! Deshalb ist dort fast jeder Berufsstand mit irgendwelchen Lobbyisten vertreten. Vom Autobauer bis zum Kirmes-Schausteller. Wenn Daimler-Benz zum Beispiel verhindern will, dass in Europa für große Autos mehr Abgassteuer bezahlt werden muss, dann schickt der Konzern seine Leute nach Brüssel, wo sie mit möglichst vielen Abgeordneten essen gehen und ihnen dabei eindringlich erklären, warum ein solches Gesetz gar nicht gut wäre (für Daimler, für die Autobauer, für Europa und überhaupt). Ein geschickter Lobbyist wird natürlich nie sagen, dass es ihm nur um die eigenen Interessen geht. Nein! Es geht immer um das Wohl aller.
Ausdrücklich für das Allgemeinwohl setzen sich vor allem die NGOs ein, die non-governmental organizations ; auf Deutsch: Nichtregierungsorganisationen. Sie genießen zum Teil einen exzellenten Ruf, und mancher fragt sich, warum wir nicht einfach von ADAC , Greenpeace, Amnesty International, dem Roten Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen regiert werden, statt von SPD , CDU und Grünen. Die Antwort ist klar: Weil jeder dieser Verbände nur ein Kernziel kennt, für das er sich stark macht. Regierungspolitik besteht aber eben gerade daraus, verschiedene notwendige Maßnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen unter einen Hut zu bringen. So hat Ärzte ohne Grenzen sicher nichts gegen Umweltschutz, würde aber das Geld wohl eher in ein Krankenhaus investieren. Greenpeace hingegen ist wohl wenig begeistert vom alles überschattenden ADAC -Mobilitätswunsch; wenn es um umweltfreundliche Autos geht, könnten die beiden Clubs aber möglicherweise eine gemeinsame Basis finden. Amnesty setzt sich ein gegen Folter und für die Menschenwürde – sehr wichtige Ziele. Aber für den Alltag der Bürger hierzulande sind Krankenhäuser, Umgehungsstraßen und Benzinpreise
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