Kaperfahrt
Suleiman Al-Jama fänden.
Das Einzige, was sie noch durchhalten ließ, war ihr nächtlicher E-Mail-Chat mit ihrem Sohn in Phoenix. Immer wieder musste sie über die technologischen Fortschritte staunen. Ihre erste Ausgrabungsstätte während des Studiums in der Wüste in Arizona, weniger als zweihundert Meilen von der Universität entfernt, war ihr dank der modernen Satellitenkommunikation abgelegener vorgekommen als dieses gottverlassene Sandloch hier.
Der Aufpasser der tunesischen Regierung weigerte sich standhaft, ihnen ihre Bitte zu erfüllen, bis Greg ihn für zwei Minuten beiseitenahm. Als sie ins Kantinenzelt zurückkehrten, strahlte der Beamte Alana an und gab ihnen die gewünschte Erlaubnis, vorausgesetzt, sie meldeten sich jeden Tag und kehrten innerhalb von zweiundsiebzig Stunden wieder zurück.
»Bakschisch«, hatte Greg auf ihren fragenden Blick geantwortet.
Alana war schlagartig blass geworden. »Und wenn er das Geld abgelehnt und Sie gemeldet hätte?«
»Wir sind hier im Nahen Osten. Wir wären in Schwierigkeiten gewesen, wenn er es nicht getan hätte.«
»Aber …« Alana wusste wirklich nicht, was sie dazu sagen sollte.
Sie hatte sich in ihrem bisherigen Leben an ein einfaches Prinzip gehalten: Beachte stets die Regeln. Niemals hatte sie bei einem Test gepfuscht, hatte jeden verdienten Penny der Steuer gemeldet und war mit dem Auto immer so schnell gefahren, wie es vorgeschrieben gewesen war. Für sie teilte sich die Welt nur in Schwarz und Weiß auf – und dies machte die Dinge in einer Hinsicht einfach und in einer anderen Hinsicht unglaublich schwierig. Sie konnte mit den moralischen Entscheidungen, die sie traf, bestens auskommen. Aber sie war gezwungen, in einer Gesellschaft zu leben, die den größten Teil ihres Daseins damit verbrachte, nach Grauzonen zu suchen, um sich vor Verantwortung zu drücken.
Es war ja nicht so, dass sie nicht wusste, wie die Welt funktionierte, sie konnte nur nicht zulassen, dass ihre Verderbtheit auch in ihr eigenes Leben Eingang fand. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, den Vertreter des tunesischen Ministeriums für Kunst und Archäologie zu bestechen, weil es ganz einfach unrecht war.
Andererseits kam es ihr auch nicht in den Sinn, die Gelegenheit, die Gregs Aktion ihnen beschert hatte, ungenutzt verstreichen zu lassen. Daher waren sie, angetrieben von der kühnen Hoffnung, dass sich Suleiman Al-Jamas geheimer Stützpunkt irgendwo in der Weite der Wüste befand, wieder mit der Absicht unterwegs, den Wasserfall auf irgendeinem bislang noch unbekannten Weg zu überwinden.
Der Lastwagen war mit ausreichend Trinkwasser und Lebensmitteln beladen, um die Gruppe drei Tage lang zu ernähren. Sie hatten nur ein einziges Zelt mitgenommen, aber Alana fühlte sich in der Gesellschaft ihrer Begleiter durchaus wohl, so dass dies kein Problem für sie darstellte. Hinzu kam ein Fass mit fünfzig Gallonen Treibstoff auf der Ladefläche, so dass sich ihre Reichweite um dreihundert Meilen vergrößerte, je nachdem wie viel sie während ihrer Fahrt flussaufwärts verbrauchen würden.
Niemand beurteilte ihre Chancen allzu optimistisch. Der Wasserfall war einfach zu steil, als dass ihn ein Segelschiff hätte überwinden können. Sie waren jedoch auch verzweifelt. Das Tripolis-Abkommen stand unmittelbar bevor. Alana war sich bewusst, dass die Außenministerin an diesem Tag zwecks vorbereitender Gespräche nach Libyen flog, und fühlte sich zunehmend unter Druck.
»Müssen Sie unbedingt jedes Schlagloch und jeden dicken Stein mitnehmen?«, fragte Greg von der hinteren Sitzbank des offenen Lastwagens.
»Sie haben es erkannt«, erwiderte Mike mit gespieltem Ernst.
Greg rutschte so weit nach rechts, dass er direkt hinter Alana saß. »Dann machen Sie es wenigstens mit den Reifen auf der linken Seite, okay?«
Es war wieder ein strahlend heller und klarer Tag, so dass sich die Temperatur bei vierzig Grad Celsius bewegte, als sie anhielten, um Mittagspause zu machen. Alana holte Wasserflaschen aus der Kühlbox und reichte jedem Mann eines der Sandwiches, die vom Lagerpersonal zubereitet worden waren. Dem Wegmesser zufolge hatten sie siebzig Meilen zurückgelegt, und wenn sie sich richtig erinnerte, mussten sie bis zum Wasserfall noch weitere dreißig Meilen vor sich haben.
»Was halten Sie von der Stelle da drüben?«, fragte Mike mit vollem Mund. Er deutete mit seinem Sandwich auf das gegenüberliegende Ufer des alten Flussbetts. Während steile Felswände das Flussufer
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