Kaperfahrt
Jahren wurde eine ihrer schriftlichen Abhandlungen als Dissertation anerkannt – und ihr ein Ph. D. verliehen.
Ihr Ansehen innerhalb des Beltway – wie der Straßenring um Washington im Volksmund genannt wurde – wuchs stetig, bis sie als Beraterin der Präsidenten beider Parteien im Weißen Haus ein und aus ging. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis sie für einen Kabinettsposten ausgewählt wurde.
Sechsundvierzig Jahre alt und noch immer unverheiratet, war Fiona Katamora – ihr schwarzes Haar so glänzend wie Obsidian und das Gesicht faltenlos und glatt – eine betörende Schönheit. Sie war schlank und mit knapp einem Meter siebzig für ihre Herkunft ziemlich groß. In Interviews erklärte sie, dass sie einfach zu beschäftigt sei, um eine eigene Familie zu haben. Und während die Klatschmagazine immer wieder versuchten, sie mit verschiedenen reichen und einflussreichen Männern in Verbindung zu bringen, unterhielt sie in Wahrheit so gut wie keine solcher Bekanntschaften.
In ihren zwei Dienstjahren als Außenministerin hatte sie rund um die Erde wahre Wunder gewirkt und Amerikas Ansehen als Friedensstifterin und unparteiische Vermittlerin wiederhergestellt. Sie hatte daran mitgewirkt, die bis zu diesem Zeitpunkt längste Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der Regierung von Sri Lanka und den Tamil Tigers auszuhandeln und zu schließen, und hatte mit Hilfe ihrer Verhandlungsfähigkeiten verhindert, dass sich Auseinandersetzungen wegen einer umstrittenen Wahl in Serbien noch zu einem Bürgerkrieg steigerten.
In den Fluren des Außenministeriums hatte Fiona ebenfalls für frischen Wind gesorgt. Sie hatte sich den Spitznamen Drachenlady erworben, da sie in Foggy Bottom ein Großreinemachen veranstaltet und Schicht für Schicht überflüssiges Personal abgetragen und entfernt hatte, bis das Außenministerium für die gesamte restliche Regierung ein Vorbild an Effizienz darstellte.
Und nun war sie unterwegs zu dem, was der Höhepunkt einer bemerkenswerten Karriere sein könnte. Die vorbereitenden Gespräche sollten den Rahmen für das schaffen, was als das Tripolis-Abkommen Geschichte machen konnte. Wenn nach zehn Regierungsperioden überhaupt jemand im Nahen Osten für einen dauerhaften Frieden zu sorgen vermochte, dann wäre es Fiona Katamora.
Sie beendete die Brahms-Komposition, die sie geübt hatte, und legte Geige und Bogen beiseite. Dann wischte sie die Finger mit einem mit Monogramm versehenen Taschentuch ab und dehnte und streckte sie schließlich, um den leichten Krampf darin zu lösen. Sie befürchtete, dass sich in ihnen bereits die Arthritis eingeschlichen hatte.
Es klopfte an der Kabinentür.
»Herein«, sagte sie.
Ihre persönliche Assistentin, Grace Walsh, schob den Kopf durch den Türspalt. Grace war bereits seit über zehn Jahren bei Fiona und folgte ihrer Chefin von Traumjob zu Traumjob.
»Sie baten mich, Ihnen Bescheid zu sagen, sobald es vier Uhr ist.«
»Danke, Gracie. Wann werden wir denn voraussichtlich landen?«
»Ich hatte mit dieser Frage gerechnet und bereits mit dem Piloten gesprochen. Es wird noch eine Dreiviertelstunde dauern. In Kürze befinden wir uns über libyschem Gebiet. Darf ich Ihnen irgendetwas holen?«
»Eine Flasche Wasser wäre jetzt gut. Danke.« Fiona vertiefte sich in den Stapel Papiere, die auf ihrem Bett ausgebreitet waren. Es waren Dossiers über alle wichtigen Teilnehmer an dem bevorstehenden Gipfeltreffen inklusive kurzer Biographien und Fotos. Sie hatte sich zwar alle schon vorher angesehen und das meiste auch bereits ihrem Gedächtnis einverleibt. Aber sie wollte doch sichergehen, dass sie sich alles auch richtig eingeprägt hatte. Also veranstaltete sie in Gedanken mit sich selbst ein Quiz, welche Minister zu welchen Staatsoberhäuptern gehörten, wie ihre Frauen und Kinder hießen, welche Ausbildung sie genossen hatten, also ungefähr alles, um dieses Treffen so persönlich wie möglich gestalten zu können.
Am meisten interessierte sie der dynamische neue Außenminister Libyens, Ali Ghami. Sein Dossier war das bei Weitem magerste. Angeblich war Ghami ein subalterner Beamter gewesen, bis der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi auf ihn aufmerksam wurde. Bereits wenige Tage nach einem Zusammentreffen der beiden Männer war Ghami zum Außenminister ernannt worden. Im darauffolgenden halben Jahr hatte er ausgedehnte Reisen in der Region unternommen und für Unterstützung für die Friedenskonferenz geworben. Anfangs war er in verschiedenen
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