Kaperfahrt
Unkenntlichkeit verbrannt. Sie erschienen nicht mehr als geschlechtslose Klumpen verkohlten Fleisches. Von ihrer Kleidung war überhaupt nichts erhalten, und aufgrund der Aufprallwucht lagen sie allesamt weit verstreut. Der Gestank von verbranntem Fleisch und Verwesung war so durchdringend, dass der Geruch des Flugbenzins davon vollkommen überdeckt wurde. Das Summen der Fliegen wurde mal lauter, mal leiser, je nachdem, ob sie aufgescheucht wurden und sich einen neuen Landeplatz suchten, während Juan von Leiche zu Leiche ging.
Ein plötzlicher Schwall säuerlichen Speichels sammelte sich in seinem Mund und zwang ihn zu schlucken.
Mark Murphy war auf Hände und Knie hinuntergegangen und blickte unter einen der verbrannten Sessel. Zwischen den Zähnen hielt er eine Minitaschenlampe. Trotz der grässlichen Umgebung – oder vielleicht sogar wegen ihr – summte er halblaut eine Melodie vor sich hin.
»Mr. Murphy«, sagte Juan betont förmlich, »wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
Cabrillos Stimme schreckte Mark Murphy auf. Er nahm die Taschenlampe aus dem Mund. »Das dürfte die beste Täuschungsnummer sein, die ich je gesehen habe.«
»Wie bitte?«
»Die Absturzstelle ist ein einziger großer Schwindel, Juan. Jemand war schon vor uns hier und hat die Beweise frisiert.«
»Bist du sicher? Eigentlich sieht es hier ganz so aus, wie ich es erwartet habe.«
»Oh, der Absturz hat schon stattgefunden. Und das ist auch Fiona Katamoras Maschine, aber irgendjemand hat sich daran zu schaffen gemacht.«
Juan ging in die Hocke, so dass er sich mit Murphy auf Augenhöhe befand. »Dann überzeug mich mal.«
Anstatt Juan zu antworten, wandte sich Mark an Linc. »Hast du es schon bemerkt?«, rief er zu ihm hinüber.
»Was meinst du?«, erwiderte Linc. »Ich sehe ein stark beschädigtes Flugzeug und einige Leichen, die mir für den Rest meines Lebens in meinen schlimmsten Albträumen begegnen werden.«
Mark sagte: »Dann nimm den Lappen von deinem Gesicht und riech mal.«
»Niemals, mein Freund.«
»Tu’s einfach.«
»Du kannst einem ziemlich auf die Nerven gehen«, sagte Linc, schob jedoch sein Halstuch nach unten und machte einen vorsichtigen Atemzug. Er schien irgendetwas zu bemerken und atmete tiefer ein. Da schien er plötzlich zu begreifen, und seine Augen leuchteten auf. »Ich glaub es nicht. Du hast recht.«
»Was ist los?«, wollte Juan wissen.
»Du würdest es nicht erkennen, weil ich bezweifle, dass du während deiner Zeit bei der CIA jemals damit in Berührung gekommen bist. Das Gleiche trifft auch auf Linda zu, weil die Navy es nicht verwendet.«
»Was verwendet sie nicht?«
»Geliertes Benzin.«
»Häh?«
»So etwas wie Napalm.«
Mark nickte dem ehemaligen SEAL zu. »Höchstwahrscheinlich wurde ein altmodischer Flammenwerfer benutzt. Ich stelle es mir folgendermaßen vor. Irgendwie haben sie das Flugzeug zur Landung auf libyschem Boden gezwungen und die Ministerin herausgeholt. Dann sind sie mit der Maschine hierher geflogen und haben sie mit voller Absicht gegen den Berg gelenkt, offenbar mit Hilfe eines entsprechend modifizierten Fernsteuerungsmechanismus oder, was ich für wahrscheinlicher halte, eines Selbstmordpiloten.
Als sie dann hierherkamen, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Aktion erfolgreich war – und auch, um sämtliche Spuren des besagten Piloten zu beseitigen –, mussten sie feststellen, dass die Kabine nicht ausreichend verbrannt war. Daher haben sie mit einem Flammenwerfer nachgeholfen. Wenn wir nicht hergekommen wären, hätte sich der typische Geruch verflüchtigt, und niemand hätte etwas bemerkt. Aufgefallen wäre es erst, wenn die Leute vom NTSB ihre Proben unter einem Gaschromatographen untersucht und außer dem Flugbenzin noch andere Rückstände gefunden hätten.«
»Seid ihr ganz sicher?«, fragte Juan und blickte von einem Mann zu anderen.
Linc nickte. »Es ist wie mit dem Parfüm deiner ersten Freundin.«
»Die muss ja was ganz besonderes gewesen sein«, scherzte Linda.
»Nein, nein, aber es ist ein Geruch, den man niemals vergisst.«
Juan kam sich vor, als hätte man ihm eine zweite Chance gegeben. Sein bisheriger Pessimismus verflog, und er fasste neuen Mut. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke, der seine Zuversicht schlagartig dämpfte. »Einen Moment noch. Welchen Beweis habt ihr, dass die Maschine vor dem Absturz irgendwo gelandet ist?«
»Den müssten wir am Fahrwerk finden. Komm mit.«
Gemeinsam verließen sie den Rumpf und kletterten in den
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