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Kapitän Singleton

Kapitän Singleton

Titel: Kapitän Singleton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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bürgerlichen Klasse verletzt oder verändert worden waren, stand der Roman noch außerhalb des Kanons, und es dauerte lange, bis er sich als der bürgerlichen Gesellschaft angemessene Kunstform durchsetzte und poetologisch bestimmt und akzeptiert wurde. Die englischen Romanciers des 18. Jahrhunderts Samuel Richardson, Henry Fielding, Lawrence Sterne, William Godwin und ihnen voran Daniel Defoe trugen maßgeblich dazu bei.
    Paradoxerweise lag das keineswegs in Defoes Absicht, denn als Puritaner hatte er für Kunst nichts übrig. Alles Erdichtete, der Phantasie Entsprungene, wie Schäferromane, Ritterroma nzen, Malerei und Theater, galt den Puritanern als sündhaft, 362
    verlogen und unnütz. Da Defoe eine Art von Literatur unter die Leute bringen wollte, die ihnen nützen konnte, weil die Erfahrungen und Gedanken seiner Gestalten die Selbstverständigung über die neuen Lebensbedingungen befördern und auch viele praktische Hinweise enthielten, griff er die schon in der Renaissance ausgebildete Wahrheitsfiktion auf: Er behauptete, das Geschriebene sei wahr, er berichte nur Tatsachen, und er legte die Berichte den Helden selbst in den Mund und ließ sie rückschauend ihr Leben erzählen – sie mußten ja wissen, wie es wirklich gewesen war.
    Was die literarischen Vorläufer betrifft, so konnte Defoe an mehrere Traditionen anknüpfen. Da lagen zunächst zahlreiche authentische Reiseberichte vor, die den Leser in alle Welt führten, ferne Länder und fremde Völker schilderten und die absonderlichsten Vorfälle, tragische und glückhafte.
    Prosadarstellungen von Menschen, die nicht dem Ritterstand oder dem Adel angehörten, konnte Defoe in den Handwerker-biographien Thomas Deloneys (um 1543 – 1600) finden, aber auch in den spanischen Schelmenromanen und deren englischen Nachbildern wie dem „Jacke Wilton“ (1594) von Thomas Nashe. Seinem Empfinden näher standen gewiß die volkstümlichen Lebensbeschreibungen von Geächteten wie Robin Hood und von Dieben und Straßenräubern; diese Gattung, die freilich nur die wichtigsten Ereignisse kunstlos aneinanderreihte und die Ausschmückung der ursprünglich und immer noch mündlich überlieferten Begebnisse der Vorstel-lungskraft der Leser überließen, hatte auch Defoe gepflegt, und zwar journalistisch. Eine gewisse Übung, „aus dem Leben gegriffene Situationen“ wiederzugeben, hatte er sich auch schon dadurch erworben, daß er, wie es Gewohnheit war, in seine Traktate, seine Familienratgeber und Erbauungsbücher solche Szenen als lehrhafte Beispiele einfügte.
    Seine Romane stehen vor allem in der Volkstradition und sprachen deshalb einen neuen und viel größeren Leserkreis an, 363
    als die geschulten Gentlemanpoeten für sich in Anspruch nehmen konnten. Wie es im vollständigen Titel seiner Romane heißt, wollte Defoe immer und hauptsächlich auf „Die Lebensgeschichte und das wechselhafte Glück…“ („Roxana“) oder auf „Das Leben und die höchst merkwürdigen Abenteuer…“
    („Robinson Crusoe“) hinaus, im Falle des „Kapitän Singleton“
    auf „Das Leben, die Abenteuer und die Piratenzüge…“.
    Der Werdegang des Helden bildet demnach auch ihr Hand-lungsgerüst, ohne daß eine komplizierte Fabel konstruiert würde. Obwohl dabei die Form einer Kette von Episoden, verbunden durch überbrückende Zusammenfassungen größerer Zeitabschnitte, ins Auge fällt, tritt gleichrangig neben die relativ eigenständigen Episoden die Aufmerksamkeit für die Entwicklung des Helden, für den Wandel seines Schicksals und das Ziel, an das ihn seine Abenteuer führen. Erst dieses Ziel macht die Episoden mehr oder weniger bemerkenswert und wichtig. Gegenüber älteren Erzählformen, dem höfischen und dem pikaresken Roman, rücken das private Befinden des Einzelmenschen und sein widerspruchsvolles Leben deutlich in den Vordergrund. Die Stelle der abenteuerverbindenden Figuren des Ritters, Höflings oder Pikaros übernimmt der handlungstragende bürgerliche Held, an die Stelle der nach Affektenlehre, Rhetorik und christlich-antiker Moral struktu-rierten Episoden werden die Erfahrungsstufen eines offen an das materielle Interesse gebundenen Bürgers gesetzt, der der Welt aktiv gegenübertritt und sie nach seinem Bilde formen will.
    Natürlich ist Robinson Crusoe der Prototyp des diesseitig praktischen, zielstrebigen, der Natur das Leben abtrotzenden und Mitmenschen ausbeutenden tüchtigen Matrosen, Kaufmanns und Kolonialisten. Aber auch die Findelkinder,

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