Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
Vom Netzwerk:
Begünstigte der Abfindung einsetzen, die er Clive zugedacht hatte. Ich nahm an, diese halbe Million Abfindung existierte tatsächlich.
    Gut möglich, dass ich es mit meinen Annahmen übertrieb.
    Als ich in mein Apartment kam, blinkte das Lämpchen des Anrufbeantworters. Es war Zipporah. »Uriah – ich rufe aus dem Providence an. Schaff deinen Arsch hier rüber, und zwar plötzlich. Sam verfällt zusehends. Zack sitzt bereits in irgendeinem Flieger und ist nicht zu erreichen. Jesaja und Maggie sind hier. Sam ist noch nicht bewusstlos, aber so gut wie. Mach unsern alten Herrn glücklich, Uri. Komm und gib ihm einen Abschiedskuss.«
    Ich fuhr zum Krankenhaus. Sam lag noch auf der Intensivstation. Ich schob die Vorhänge, die Sams Bett abschirmten, nicht beiseite, sondern blieb davor stehen. Jesaja hatte angefangen, laut zu beten. Ich linste durch einen Spalt. Sie knieten alle vor dem Bett – Jesaja, Maggie und Zipporah. Jesajas sonore Stimme erfüllte das Zimmer. Ich wollte nicht stören und blieb vor dem Vorhang.
    Sam lag auf Kissen gestützt, war aber nicht mehr bei Bewusstsein. Plastikschläuche in der Nase versorgten ihn mit Sauerstoff. Er sah aus wie tot, doch seine Brust, die sich hob und senkte, strafte diesen Eindruck Lügen. Als Jesaja sein Gebet beendet hatte, erfüllte nur noch das Piepen der verschiedenen Maschinen die Stille. Jetzt trat ich hinter den Vorhang. In diesem Moment klingelte mein Mobiltelefon. Bevor es ein zweites Mal klingeln konnte, stellte ich es ab. Sam schlug die Augen auf, als wäre mein Telefon ein Wecker, den er sich gestellt hatte. Er sah mich an. »Du bist hier«, sagte er und lächelte fast dabei. Die Pergamenthaut rund um seine Lippen zog sich zusammen. Ich ging auf die andere Seite des Bettes, nahm seine Hand, beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn. »Hallo, Daddy«, sagte ich. Seit fünfundzwanzig Jahren hatte ich ihn nicht mehr Daddy genannt.
    Er wollte meine Hand drücken, doch seine kraftlosen Finger wären nicht mal in der Lage gewesen, einen Marshmallow zusammenzudrücken. »Ich hatte befürchtet, du kommst nicht mehr«, flüsterte er. Da wurde mir klar, dass er nicht mich meinte. In seinen Augen stand ein unbeirrter, in die Ferne gelenkter Blick, der mich durchdrang und etwas weit hinter mir zu erfassen suchte. Jesaja räusperte sich, ich sah ihn an. Er nickte mir zu, als wollte er sagen, mach weiter.
    »Ich lasse dich doch nicht hängen.«
    Sams Lächeln erstarb und er schloss die Augen. Zwar hob und senkte sich seine Brust noch immer, doch jetzt in größeren Abständen. Mein Gesicht war nass, und das überraschte mich. Zipporah kam zu mir, legte ihren Arm um mich. »Tapferer Junge«, flüsterte sie mir ins Ohr und küsste meine feuchte Wange.
    Ich weinte, aber nicht nur Sams wegen. Dieses Gefühl, das meine Gesichtszüge in sechs Richtungen verschob, galt uns allen, uns sechsen, aber ganz besonders galt es Maggie. Ein Ende ihres Schmerzes war nicht absehbar. Im Grunde meines Herzens wusste ich, dass Moses sich an nichts halten würde, was auch immer man ihm in La Xanadu auferlegen sollte. Er war ein Junkie durch und durch, würde nach Junktown zurückkehren, sich zuknallen, irgendwann an einer Überdosis oder an AIDS sterben oder beklaut und mit eingeschlagenem Schädel enden.
    Ich weinte auch meinetwegen. Ich sah mich in dreißig oder vierzig Jahren, mein muskulöser Körper nur noch gegerbtes Leder und spröde Knochen, mein eingeschränktes Denken mit bruchstückhaften Erinnerungen an Szenen eines einsamen, sinnlosen Lebens beschäftigt.
    »Mein Gott«, entschlüpfte es mir.
    Sam öffnete die Augen, diesmal war es nicht mehr als ein Reflex. Es waren blinde Augen, blind sogar für die Landschaften der Halluzination.
    Ich küsste Zipporah, umarmte Maggie und Jesaja und sah zu, dass ich von dort wegkam.

Vierzig
    Ich brauchte eine Margarita und sei sie noch so miserabel. Im Piccadilly on the Rio war tote Hose. Keine Dartspieler, keine Gibson-Trinker. Der Mann hinter dem Tresen war jung, Typ Engländer, voller Energie und bemüht, guten Willen zu zeigen. Er machte mir eine lausige Margarita nach dem Rezept der neuen Geschäftspolitik. Ich konnte gerade so verhindern, dass er den Glasrand in Salz tauchte.
    »Wo ist Beatrice?«, fragte ich.
    »Sie kennen Miss Westfall?«
    »Hab Sie kennen gelernt.«
    Plötzlich wirkte er nervös. »Sie macht Urlaub in Belize.«
    »Urlaub? Sie hat doch gerade erst eröffnet.«
    »Sie ist der Boss. Sie macht, was sie

Weitere Kostenlose Bücher