Kaputt in El Paso
Höhepunkt unserer Leidenschaft kam mir die Erkenntnis: Ich war nicht fähig, jemanden zu lieben. Ich wusste nicht mal, was Liebe war. Ich konnte nicht nachvollziehen, dass zwei Menschen glaubten, von nun an wie siamesische Zwillinge durchs Leben gehen zu müssen. Mir schien eher die Angst vor der Einsamkeit das Bindeglied zu sein, das die Menschen als Liebe missdeuteten. Es gab keine Liebe. Liebe war ein Wort, mit dem die Menschen das schwarze Loch im Zentrum ihrer Persönlichkeiten verschließen wollten. Das schwarze Loch war der Tod und all die kleinen Tode, die man im Leben starb, durch Einsamkeit, durch Scheitern oder Selbsthass.
Ich musste unwillkürlich leise lachen und Jillian sah mich an mit einem Blick, der förmlich Gift und Galle spie. Gert kam mir in den Sinn, wie sie meinem Geheimnis auf die Spur gekommen war und wie sie das Ende ihrer Einsamkeit in den Armen eines Rennfahrers gefunden hatte.
Und Jillian war ebenso unfähig zu lieben wie ich. Um so merkwürdiger war ihre Geschichte von Selbstaufopferung. Sollte sie dem Magazin die Polaroids geschickt haben, dann gab es dafür ein anderes Motiv. Ein Motiv, das sie wohl kaum zugeben wollte.
Unter der Dusche sagte sie: »Warum hast du gelacht? Ich bin völlig abgelenkt worden und wäre beinahe nicht gekommen. War diese Gemeinheit Absicht?«
Ich wollte meine Erkenntnis nicht mit ihr teilen. Ich schämte mich dessen. Niemand konnte sich zu so etwas bekennen. Es kam dem Bekenntnis gleich, ein Triebtäter zu sein, der Kinder ermordet.
»Komm schon, erzähl’s mir«, sagte sie und lachte. Sie nahm meine Eier in die Hand. »Du erzählst es mir auf der Stelle oder ich quetsche die kleinen Kerle, bis sie blau werden, ich schwör’s.«
Ich packte sie am Handgelenk und zog ihre Hand weg, dann drängte ich sie gegen die gesprungenen, schimmligen Fliesen. Ich legte meine Hände um ihre Hüften, hob sie hoch und drang in sie ein. Ohne jegliches Feingefühl. Damit sie einfach Ruhe gab.
Siebenundzwanzig
Sie wollte etwas essen. Wir zogen uns an und fuhren durch Deming auf der Suche nach einem Restaurant, das noch geöffnet hatte. Unweit der Bahngleise fanden wir einen kleinen mexikanischen Laden. Wir bestellten beide salpicón.
»Du wirst fett«, bemerkte sie.
Ich hatte hundert Kilo überschritten und spürte es. Meine Hosen saßen eng, mein Hemd ließ sich kaum zuknöpfen. »Danke, dass du mich daran erinnerst.«
»Sei nicht so eitel. Du siehst immer noch sehr gut aus, Schatz.«
Unser Essen wurde serviert. Sie fiel über ihren Teller her, als hätte sie eine Woche lang nichts gegessen. Keine Spur von Etikette, ihre Tischmanieren waren ungehobelt. Die Gabel mit der Faust gepackt, spießte sie Fleischbrocken gierig auf wie ein ausgehungerter Schwerstarbeiter. Sie klappte eine Tortilla zusammen, wischte damit die Salsa vom Teller, kaute heftigst, zum Teil mit offenem Mund. Es kam mir so vor, als sähe ich zum ersten Mal die wahre Jillian Renseller, und mir gefiel, was ich sah.
»Weshalb grinst du so?«, fragte sie.
»Deinetwegen. Die Art, wie du isst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du in einem Herrenhaus von Kindermädchen erzogen wurdest.«
Sie lachte. »Du hast Recht. Mein Vater war Fischer. Ich bin in einer Hütte in Coos Bay, Oregon aufgewachsen. Zu fünft haben wir in einer Bretterbude mit vier Räumen gehaust.«
Bei dem Gedanken an ihre Kindheit verfinsterte sich ihr Blick. »Du stammst aus armen Verhältnissen«, sagte ich.
»Arm? Kann sein. Essen stand immer auf dem Tisch. Zumindest Lachs. Ja, schon, Annehmlichkeiten gab es keine. Wie war’s bei dir? Du bist doch auch nicht mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen.«
Ich erzählte ihr von meiner Geburt, dass ich ausgesetzt worden war, berichtete von Sam und Maggie und ihren Adoptivkindern unterschiedlichster Herkunft, von Sams religiöser Besessenheit und Maggies lammfrommer Passivität. Ich gab mit Zipporah, Jesaja und Zack an und ich unterschlug Moses.
»Ganz schön verzwickt«, sagte sie. »Aber du hast alles ganz gut überstanden, nicht wahr? Oder ist mir da etwas entgangen?«
»Ich denke, ich kann ganz zufrieden sein.«
Sie machte sich über den Rest des Bruststückes auf ihrem Teller her und aß anschließend noch meine Hälfte. Wir blieben sitzen, tranken ein paar Bier, bis der Besitzer des Ladens an unseren Tisch kam; er war Kellner und Koch in einer Person und tippte jetzt auf seine Armbanduhr. Es war spät geworden und er wollte dichtmachen. Wir nahmen unsere
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