Kaputt in El Paso
angefangenen Biere und gingen hinaus zum Mercedes. Kaum sechs Meter entfernt ratterte ein Güterzug durch die Stadt. Als der letzte Waggon vorbeigescheppert war, empfand ich die Stille in meinen Ohren beinahe als schmerzhaft. Ich legte den Arm um Jillian und zog sie an mich, doch sie schüttelte mich augenblicklich ab. Ihr stand nicht der Sinn nach Zärtlichkeiten, sie wollte reden.
»Als ich zwölf war, wurde ich vergewaltigt«, sagte sie.
Ich wollte etwas dazu sagen, doch sie legte mir einen Finger auf die Lippen.
»Er war auch Fischer – Caleb Brisbane, ein Freund unserer Familie. Er hat mich auf dem Nachhauseweg von der Schule gesehen und angehalten, um mich mitzunehmen. Aber er hat mich nicht nach Hause gefahren, sondern in eine kleine Hütte in den Bergen. Er hat gemeint, es sei ein Spiel. Ich hatte keine Angst, schließlich kannte ich ihn und wusste, dass er ein Freund meines Vaters war.«
»Oh Gott«, sagte ich.
»Und weißt du was? Im Grunde war es gar keine richtige Vergewaltigung, zumindest war es nicht das, was man gemeinhin darunter versteht. Er sah gut aus und war sehr behutsam. Er hat ein Spiel daraus gemacht und ich hab mitgespielt, freiwillig. Vermutlich wurde mir das Sinnliche in die Wiege gelegt. Er musste mich zu nichts zwingen, im Gegenteil, unter seiner Regie wurde ich richtiggehend erfinderisch.«
»Aber du warst zwölf.«
»Es hat mein Leben verändert, in diesem Alter eine Frau zu werden, aber es hat mir gefallen, damals. Doch meine Familie hat was gemerkt. Ich bin an diesem Abend sehr spät nach Hause gekommen und hatte Blut an den Beinen. Meine Mutter bekam einen hysterischen Anfall und mein Vater lud seine Schrotflinte. Er und meine Brüder sind zu Calebs Hütte und haben ihn fast totgeschlagen. Sämtliche Zähne haben sie ihm ausgetreten, haben ihm das Rückgrat gebrochen und ein Auge so schwer verletzt, dass er erblindete. Ich glaube, es hat mich mehr traumatisiert, was sie mit ihm angestellt haben, als das, was er mit mir gemacht hat. Ich meine, ein Freund der Familie wurde einer Sache wegen zum Krüppel geschlagen, an der ich bereitwillig teilgenommen hatte. Nachdem bekannt wurde, was Caleb getan hatte, wurden weder mein Vater noch meine Brüder bestraft.«
Mir fielen dazu nur die meiststrapazierten Worte überhaupt ein: »Tut mir leid.«
»Das ist aber noch nicht alles«, fuhr sie fort. »Nach dieser Geschichte veränderte sich das Verhalten meiner Brüder mir gegenüber. Der eine war sechzehn, der andere achtzehn. Ich gab ihnen Rätsel auf. Für sie war ich Ausschussware – eine Frau, während sie immer noch Jungs waren. Ich schlief in einem Anbau unserer Hütte. Er war winzig, aber der einzige Raum im Haus, wo Privatsphäre möglich war. Mein älterer Bruder begann, mich spät nachts zu besuchen, wenn alle anderen eingeschlafen waren. Ich ließ ihn gewähren. Mir war’s egal. Ich empfand kein Vergnügen dabei, nicht so wie bei Caleb, aber ich wehrte mich auch nicht dagegen. Und dann kam mein jüngerer Bruder mit ins Spiel und sie wechselten sich bei ihren nächtlichen Besuchen ab.« Sie nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Nette Familie, nicht wahr?«
»Schon erstaunlich, dass du nicht schwanger wurdest«, sagte ich.
»Und ob ich schwanger geworden bin! Ich bin in eine von der Kirche geförderte Einrichtung für schwangere Teenager gegangen. Das Baby, ein gesunder Junge, wurde zur Adoption freigegeben. Ich habe ihn nie gesehen, wollte es auch nicht. Jedenfalls hat das alles die Familie zerstört. Meine Brüder wurden aus dem Haus gejagt, kurz danach hatte mein Vater einen schweren Schlaganfall. Die wenigen Jahre bis zu seinem Tod war er vollständig gelähmt. Meine Mutter starb ein paar Jahre später an Krebs. Meine Brüder sind zur Armee gegangen, ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört.«
»Aber du hast alles ganz gut überstanden«, sagte ich, »oder ist mir da etwas entgangen?«
Sie warf mir einen ernsten Blick zu, dann lachte sie. »Uns allen ist was entgangen, meinst du nicht? Erst Jahre später habe ich begriffen, was man mir angetan hatte.«
»Du hattest einen Nervenzusammenbruch?«
»Nein, dafür hänge ich zu sehr am Leben. Ich habe Männer übel behandelt. Meine ersten beiden Ehen dauerten nur Wochen. Ich habe es mit psychologischer Beratung versucht, aber diese Psychologen gingen mir auf den Zeiger. Reine Theoretiker ohne jegliche Erfahrung, was das wahre Leben betrifft. Sie taten so, als wüssten sie genau, was ich durchgemacht hatte, als
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