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Karambolage

Karambolage

Titel: Karambolage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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darf?«
    »Ich hab’s mal mit Journalistik versucht, aber da sind die Aussichten nicht rosig, also mache ich jetzt Betriebswirtschaft hier in Floridsdorf. Ich muss etwas lernen, mit dem sich was verdienen lässt. Ich habe keinen Geldscheißer und muss froh über das sein, was mir meine Adoptiveltern geben können. Na, und so nebenbei arbeite ich auch noch in einer Boutique.«
    Korber glaubte zu wissen, dass in der Steiermark bei kinderreichen Familien ein Teil des Nachwuchses immer noch gern weggegeben wurde und bei Ersatzeltern aufwuchs, meist bei Bauern, wo es dann hieß, fleißig auf dem Hof mitzuhelfen. Ob das wohl bei Ingrid auch der Fall gewesen war? Er war neugierig, traute sich aber nicht zu fragen.
    Nach einer kurzen Pause gab Ingrid die Antwort von selbst: »Meine Mutter ist früh gestorben, meinen Vater habe ich kaum gekannt«, sagte sie. »Mein Onkel und meine Tante haben sich meiner angenommen.«
    »Komm, hör auf, davon zu reden«, unterbrach sie Maria. »Ich sehe doch, wie dich die Sache wieder aufregt.«
    Tatsächlich bemerkte Korber, wie sich Ingrids Gesicht verfinsterte und ein paar Tränen über ihre Wangen kullerten. »Schauen wir mal, was sich machen lässt«, sagte sie mit einem aufgesetzten Lächeln und blickte starr nach vor zum Billardbrett.
    »Bon«, kam es da wieder vom Fenster, begleitet von lautem Beifall.
    »Das war aber jetzt ein schöner Stoß«, sagte Ingrid, die sich wieder gefasst zu haben schien.
    »Eine verkehrte Quart«, erklärte Korber. »Heißt so, weil der Ball auf der ›verkehrten‹ Seite mit Gegeneffet angespielt werden muss. Sieht spektakulär aus, ist aber nicht so schwer. Man muss nur genau treffen, sonst gibt es einen ›Tusch‹, das heißt, der angespielte Ball kommt dem Spielball so in die Quere, dass er abgelenkt wird und den Punkt nicht machen kann.«
    Korber schaute auf den Spielstand. Sykora führte, aber Fellner blieb ihm dicht auf den Fersen. Noch war jeder Ausgang möglich. Beide Kontrahenten mieden nach wie vor den Blick des anderen, es war, als ob sich eine eisige Wand zwischen ihnen befände. Im Gegensatz dazu lockerte sich die Stimmung an Korbers Tisch ein bisschen, als er ein paar Geschichten über das Kaffeehaus zu erzählen begann.
    Beim Billard nahte die Entscheidung. Es stand 13 zu 13. Die nächsten zwei Punkte mussten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Man hätte jetzt die berühmte Stecknadel fallen hören können.
    Sykora war an der Reihe. Die Stellung sah nicht gerade vielversprechend aus, da ein sogenannter ›Vorbänder‹ [3] gespielt werden musste. Aber Sykora mobilisierte seine letzten Reserven. Wie an einer Schnur gezogen lief der Ball ums Brett, dann machte es ›klack‹ und ›klack‹. Erst Schweigen, dann zögernder Applaus, dann ein bestätigendes »Bon«. Sykora fehlte jetzt nur mehr ein alles entscheidender Punkt. Und es war ein ›Sitzer‹ [4] .
    Gewissenhaft, mit aller nötigen Konzentration, ging Sykora daran, die Partie zu beenden und sich zum König des Turniers zu machen. Er wollte zum Stoß ansetzen, wurde jedoch durch das plötzliche betonte und anhaltende laute Quietschen von Fellners Queuekreide irritiert. Ein hasserfüllter Blick Sykoras. Ein Achselzucken Fellners. Sie war wieder da, die alte Feindschaft.
    Sykora machte einen erneuten Versuch, aber er wirkte nicht mehr so ruhig wie ehedem, sondern gehetzt, wie jemand, der seine Sache hinter sich bringen will, bevor er erneut dabei gestört wird. Es war mucksmäuschenstill. Dann der Stoß. Oder doch zuerst der Pfiff? War es überhaupt merkbar, das von Fellner ganz leise durch die Zähne gesäuselte ›I hob valuan‹ [5] ? Sykoras Ball jedenfalls nahm einen kurzen Anlauf, traf die rote Kugel, aber wohl etwas zu voll, denn jäh verlor er sein Tempo und verkümmerte armselig in der Mitte des Brettes.
    Es blieb ruhig, nur ein ganz leises »Mal, très mal!«, kam vom Fenster.
    Sykora, der noch versuchte, seine Fassung zu wahren, sagte: »Das war nicht fair. Ich möchte den Stoß wiederholen.«
    Daraufhin Unruhe, Debatten, erste Zwischenrufe. »Das ist nicht üblich«, unterrichtete ihn Herr Heller, der unter seiner Livree leicht zu schwitzen begann. »Herr Fellner ist an der Reihe.«
    »Aber er hat doch gepfiffen«, beschwerte sich Sykora, »nur mit der Absicht, mich aus der Fassung zu bringen. Ich habe das Recht auf eine Wiederholung.«
    »Sie hatten das Recht, mit Ihrem Stoß zu warten. Wenn Sie getroffen hätten, hätte es ja auch gezählt«, sagte Heller und

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