Karambolage
Menge untergetaucht war und jetzt plötzlich wieder neben Korber stand.
»Überlegt euch das schnell, ich hab keine Zeit, ich muss servieren«, wurde Leopold ungeduldig. »Fellner gegen Sykora, wie ich gesagt habe. Und der Fellner hat seine ganze Anhängerschaft aus dem Klub mitgebracht. Da geht was weiter.«
Korber hatte Maria mittlerweile aus den Augen verloren. Ingrid, die ohne ihr rotes Häubchen etwas erwachsener aussah, zuckte mit den Achseln. Beide schienen nicht so richtig zu wissen, was sie tun sollten, als Korber plötzlich eine Hand auf seiner rechten Schulter spürte. Die Berührung war kurz, aber gar nicht hastig und vertrauenerweckend.
Es war Angela ›Geli‹ Bauer, ehemalige Schülerin des Gymnasiums, jetzt treuer Kaffeehausstammgast, vielleicht keine absolute Schönheit, aber immer heiter und ausgeglichen – und laut Leopold eine junge Frau, die viel besser zu Korber passte als alles andere Weibliche, mit dem er sich sonst umgab.
»Wenn Sie wollen, können Sie unseren Platz haben, Herr Professor«, sagte sie. »Sie sehen von dort recht gut auf den Spieltisch. Wir haben ein bisschen gewürfelt, aber jetzt, wo so viele Leute herinnen sind, macht es uns keinen Spaß mehr. Viel Vergnügen.«
Korber wollte sich noch bedanken, aber da war die Geli auch schon nach draußen verschwunden. »Na also, warum nicht gleich«, raunte Leopold. Plötzlich war auch Maria wieder da. Sie winkte Korber und Ingrid von dem frei gewordenen Tisch zu. Es war auch schon höchste Zeit, denn kaum hatten sie ihre Getränke vor sich stehen, begann der große Rummel um das Finale.
Die beiden Kontrahenten – Georg Fellner und Egon Sykora – nahmen Aufstellung. Korber hatte Fellner gleich beim Hereingehen bemerkt, als sich dieser offensichtlich noch an der Theke stärkte. Er erkannte in ihm flüchtig den Kaffeehausgast von früher, aber auch an ihm war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Das immer noch teils schelmisch, teils herablassend wirkende Gesicht wies bereits ein paar Grübchen und Falten auf, die Haare waren nicht mehr so dunkel wie früher, die ganze Gestalt war etwas runder geworden. Sykora war schlanker als sein Gegenüber, vielleicht ein wenig jünger, sah aber viel verbissener aus. Zwischen den beiden stand Herr Heller, der die Leitung der Partie übernahm, in einer alten Livree. Mit unzähligen Gesten und Gebärden erweckte er den Anschein größter Wichtigkeit. Das Ganze sah aus wie die Szenerie vor einem Boxkampf.
»Was tun sie jetzt?«, fragte Ingrid neugierig.
»Sie stoßen sich aus, wer anfängt«, erklärte Korber. »Jeder spielt dabei seinen Ball an die gegenüberliegende Bande, und zwar so tempiert, dass er möglichst nahe der herüberen Bande zu liegen kommt. Wer näher dran ist, hat den ersten Stoß, und das ist in der Dreibandpartie ein unschätzbarer Vorteil.«
Fellner und Sykora standen jetzt ganz knapp nebeneinander. Sie würdigten sich immer noch keines Blickes. ›Klack‹ ging es und ›klack‹. Langsam rollten die Bälle nach vor und wieder zurück. Sykora blieb knapper Sieger. Er durfte beginnen.
Sykora hatte sich offensichtlich viel vorgenommen, machte den ersten Punkt und gleich darauf zwei weitere. Aus dem von Fellners Anhängern dominierten Publikum kam zaghafter Applaus. Eine unscheinbare, in sich gekehrte Gestalt am Fenster attestierte auf Französisch: »Bon!« Jetzt Fellner. Bei seinem ersten Punkt brandete lauter Beifall auf, vom Fenster her kam wieder ein »Bon«; dann allerdings verfehlte er sein Ziel.
In der Folge taten sich beide Kontrahenten schwerer und waren nur selten erfolgreich. Die Partie begann sich in die Länge zu ziehen. An Korbers Tisch bemühte man sich um Konversation, aber die Voraussetzungen dazu waren denkbar ungünstig. Korber konnte mit Maria schlecht über die Schule reden, geschweige denn ein vertrauteres Gespräch führen. Maria wiederum, die ja eigentlich mit Korber verabredet war, war es in dieser Situation nicht möglich, mit ihrer Freundin Intimitäten auszutauschen. So folgte man dem Spiel und betrieb zwischendurch den üblichen Small Talk.
Zunächst einigten sich Ingrid und Korber, einander zu duzen, dann fragte Korber: »Du bist eine ehemalige Schülerin von Maria? Also auch Steirerin?«
»Ja, ich bin in der Nähe von Hartberg aufgewachsen.«
»Und jetzt lebst du in Wien?«
»Ja. Ich studiere hier. Ich wollte nicht in der Steiermark bleiben. Ich hatte dort keine sehr glückliche Kindheit.«
»Was studierst du, wenn ich fragen
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