Kardinal vor La Rochelle
Frage stellen?«
»Bitte.«
»Die Hütte des Salzarbeiters hat doch sicher keinen Pferdestall?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Das heißt, daß der Herr Chevalier mit den Pferden im |230| Freien auf Sie warten muß.
Das ist sehr gefährlich.
Wie ich höre, gibt es trotz der guten Disziplin im Feldlager bei Nacht hin und wieder Pferdediebstähle und Gewalttaten.«
»So ist es«, sagte ich, im stillen schmunzelnd, weil ich ahnte, worauf Hörner hinauswollte.
»Meine Aufgabe hier, Herr Graf«, fuhr er bedächtig fort, »ist, Sorge zu tragen für die Sicherheit Ihrer Person, Ihrer Nächsten
und Ihres Eigentums.«
»Und deshalb wollen Sie heute über Nicolas wachen?«
»Auch über Ihre Pferde, Herr Graf.«
»Und wie?«
»Ich und drei meiner Männer werden genügen.«
»Gut, Herr Hörner. Dann brechen wir heute abend gemeinsam um Schlag acht Uhr auf.«
***
Kurz vor acht Uhr stellte sich auf Brézolles der Hauptmann de Clérac ein, ihm folgte auf seinem Maultier der Pater Joseph,
um uns zu Bartoloccis Hütte zu führen. Somit stieg die Zahl der Reiter auf acht, denen Madame de Bazimont, ganz aufgeregt
über so viele stattliche Männer, einen Abschiedstrunk kredenzte. Den nahmen auch alle dankbar an bis auf Pater Joseph, der
sich Wasser ausbat. Weil aber das Wasser des Schlosses einer klaren, wohlschmeckenden Quelle entsprang, trank er es mit so
sichtlichem Behagen, daß ich mich fragte, ob er nicht doch der Sünde des Genusses frönte.
In dichtester Dunkelheit machten wir uns auf. Daß Pater Joseph seine Wegmarken trotzdem unfehlbar erkannte, grenzte an ein
Wunder. Als wir zu fünft, Monsieur de Clérac, Hörner, Nicolas, Pater Joseph und ich, Bartoloccis stinkende, baufällige Hütte
betraten, wirkte dieser sonderbar verdruckst, und er sah sehr erschrocken aus. Sein Schrecken wuchs, als er in meinen Händen
den Strick erblickte: Er glaubte, man wolle ihn hängen, doch der mitleidige Pater beruhigte ihn, indem er ihm den Zweck des
Strickes erklärte. Trotzdem, setzte er hinzu, müsse man ihn nach Waffen durchsuchen.
»Ich, eine Waffe!« schrie Bartolocci auf. »Ich habe keine Waffe, das schwöre ich beim heiligen Namen Gottes!«
|231| »Schwöre nicht!« sagte der Pater streng. »Wer bei Gott schwört, begeht eine Todsünde.«
»Was ist denn das, Bartolocci?« sagte ich, »du sprichst auf einmal gutes Französisch? Bei dem Herrn Kardinal hast du uns mit
deinem italienischen Kauderwelsch aufgewartet.«
»Herr Graf, wenn man mit einem hohen Herrn spricht, ist es immer ratsam, sich dümmer zu stellen, als man ist. Und ich dachte
mir, da der Herr Kardinal auch italienisch spricht, freut es ihn, es aus meinem Mund zu hören.«
»Und woher kannst du so gut Französisch?«
»Ich war in meinen besseren Tagen Jesuitenschüler, Herr Graf.«
»Jesuitenschüler!« sagte Monsieur de Clérac. »Und dann Salzarbeiter und Schmuggler! Da muß man sich doch ein paar Fragen stellen.«
»Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte Bartolocci und senkte mit einer reuigen Miene den Kopf, daß ich mit den Zähnen
knirschte, so scheinheilig mutete sie mich an.
»Nicolas«, sagte ich, »frischauf, durchsuche ihn!«
Verlegen trat der Junge auf Bartolocci zu und begann ihm voller Scheu Brust und Rücken, Arme und Beine bis zu den Knien abzutasten,
dann erklärte er, der Mann habe tatsächlich keine Waffe bei sich. Ich runzelte die Stirn, und ärgerlich über soviel Selbstgewißheit,
fragte ich Hörner, wie er die Durchsuchung beurteile, die Nicolas da vorgenommen hatte.
»Sehr schlecht«
, sagte Hörner.
Der arme Nicolas errötete bis über beide Ohren, aber ich war nicht zur Nachsicht geneigt.
»Nicolas«, sagte ich, »hast du Bartolocci wirklich von Kopf bis Fuß durchsucht?«
»Ich denke ja, Herr Graf«, sagte Nicolas.
»Oh, nein! Du hast ihn durchsucht, wie die Wache des Louvre im Jahr 1610 Ravaillac durchsucht hat: Am nächsten Tag erstach
er Henri Quatre!«
»Was habe ich denn vergessen?« fragte Nicolas mit zitternder Stimme.
»Die Waden.«
Hätte er gekonnt, mein Nicolas wäre in die Erde versunken. Er beugte ein Knie zu Boden vor Bartolocci, der ein wenig blaß
geworden war, und machte sich an den hohen, schmutzigen |232| Stiefeln des Salzarbeiters zu schaffen, deren Leder aber so dick war, daß Nicolas nichts ertasten konnte und hilfesuchend
zuerst mich anblickte, dann Hörner, der seinen Blick ebenso ungerührt erwiderte, dann seinen großen Bruder.
»Junge, denk nach!«
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