Kardinal vor La Rochelle
sagte der Hauptmann rauh. »Was tust du, wenn dich in deinem Stiefel etwas drückt?«
»Ich ziehe ihn aus und taste das Innere ab.«
»Also, worauf wartest du?«
Schneller, als er begriffen hatte, ging Nicolas an die Ausführung. Er zog Bartolocci die Stiefel nacheinander so schwungvoll
von den Füßen, daß der Salzarbeiter rücklings auf seinen Strohsack fiel, und hielt sie in die Höhe.
»Puh!« rief er, »wie die stinken!«
Trotzdem tauchte er mit der Hand tapfer in den einen wie in den anderen, und im linken – ein Beweis, daß Bartolocci Linkshänder
war – entdeckte er im Schaft ein Futteral, aus dem ein langes, sehr spitzes und sehr gut geschärftes Messer zum Vorschein
kam.
»Bartolocci, du hast gelogen«, sagte ich. »Du besitzt eine Waffe und hast sie versteckt.«
»Herr Graf«, sagte Bartolocci, bleich, aber nicht aus der Fassung gebracht, »das ist keine Waffe. Das ist ein Messer zum Austernöffnen.«
»Du machst dich wohl lustig! Ein Austernmesser ist niemals so lang und schmal. Was meinen Sie, Hörner?«
»Damit schlitzt man Bäuche auf«, sagte Hörner.
»Herr Graf«, sagte Bartolocci, »alle Salzarbeiter tragen so ein Messer bei sich, ohne das hätte man in der Zunft nicht lange
zu leben.«
»Aber mit dem Ding wird man auch nicht alt«, sagte ich. »Bartolocci, ich muß dich für die Zeit unserer Expedition deiner Waffe
berauben.«
Damit faßte ich das Messer bei der Spitze und warf es über meine Schulter, so daß es wippend in einem Deckenbalken steckenblieb.
Bartolocci schaute beeindruckt, wie ich es mir erwartet hatte, er wäre wohl nie auf die Idee gekommen, daß ein Edelmann sich
aufs Messerwerfen verstand, eine Fähigkeit, die ich in jungen Jahren vom Chevalier de La Surie erlernt hatte.
Hörner, seine Schweizer und Nicolas blieben bei den Pferden zurück, und ich folgte so gut wie blind dem Hauptmann de |233| Clérac durch das Gewirr der königlichen Gräben, in denen er sich auskannte wie kein zweiter. Bartolocci, den Strick schon
um den Bauch geknüpft, dessen Ende ich fest in der Hand hielt, stapfte mir zur rechten. Sonderbar, während ich in dieser Dunkelheit
einen Fuß vor den anderen setzte, verfiel ich in sehnsüchtige Gedanken an Madame de Brézolles, die mich sehr schmerzten. Ganze
sieben Monate waren nun schon vergangen, seit sie nach Nantes gereist war, und was hätte ich nicht darum gegeben, sie wiederzusehen!
Auf einmal verwunderte es mich, daß mich zu Beginn eines so tückischen Abenteuers ausgerechnet solche Gedanken bewegten. Obwohl
sie mich anfangs melancholisch gestimmt hatten, erfüllten sie mich aber schließlich mit Zuversicht. Denn einem kuriosen Aberglauben
anhängend, wie er Liebenden eigen ist, sagte ich mir, daß, wenn ich diese Prüfung bestünde, der Himmel mich belohnen und mir
meine Liebste wiederbringen würde.
Das Geheimnis unserer Expedition war so gut gewahrt worden, daß nur der Kommandeur des vordersten Grabens, den wir endlich
erreichten, es kannte. Er raunte mir die Parole ins Ohr, die ich bei meiner Rückkehr auf Anruf des Wachtpostens nennen sollte,
um vor einer Schießerei geschützt zu sein: Es war der Vorname der Königin.
Nicht ohne ein gewisses Zwicken im Herzen verließ ich Hauptmann de Clérac und den Graben und tappte meinem zwielichtigen Gefährten
Bartolocci nach, mit dem ich durch den Strick verbunden war. Sobald wir an den Punkt gelangten, wo die Sümpfe begannen und
er gezwungenermaßen den Schritt verlangsamte, merkte ich, daß ich mich näher an ihn halten mußte, damit ich ihm auf all den
Kehren der labyrinthischen Pfade nach rechts oder links folgen konnte. Das aber löste eine neue Furcht in mir aus. Wie leicht
konnte er, wenn ich so dicht hinter ihm ging, mir mit dem Ellbogen einen Haken in den Magen versetzen, der mich zu Boden streckte
und mich ihm auf Gedeih oder Verderb auslieferte.
Ich zog also an dem Strick, und als der Kerl stehenblieb, setzte ich ihm einen Pistolenlauf an den Hals.
»Vergiß nicht, Bartolocci«, zischte ich ihm ins Ohr, »was du versprochen hast, sonst brenne ich dir ein kleines Loch in den
Nacken, das dich schneller in die Hölle bringt, als du dachtest.«
|234| »Das dachte ich überhaupt nicht«, sagte Bartolocci gequält. »Ich bin ein guter Katholik, gehe jeden Sonntag zur Messe und
bete zu Gott.«
»Dann gib acht, daß deine Taten zu deinen Gebeten passen. Marsch, vorwärts! Und keinen Verrat, wenn du eines Tages in geweihter
Erde ruhen
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