Kardinal vor La Rochelle
verschwindet?«
»Und was könntest du dagegen ausrichten? Ihm blindlings nachlaufen? In den Sumpf fallen und ertrinken? Davon hätte ich aber
was!«
»Herr Graf, Ihr geht doch nicht unbewaffnet?«
|228| »Keine Bange, Nicolas. Ein Kettenhemd unterm Wams. In den Taschen zwei geladene Pistolen und einen Dolch im Gürtel. Außerdem
wirst du mir einen Hanfstrick beschaffen, einen guten Klafter lang, wozu, wirst du noch erfahren.«
Armer Junge, dachte ich, wie gerne wäre er durch dieses Abenteuer wenigstens eine Zeitlang seinen Tantalusqualen entronnen:
Seit Mademoiselle de Foliange in unseren Mauern weilte, hatte er immer diese liebliche Frucht vor Augen, doch kosten konnte
er sie nicht.
So sind die Menschen, dachte ich, ein jeder hängt seinen eigenen Träumen, Plänen oder Sorgen nach! Fiebrig wartete Nicolas
auf die Rückkehr des Königs, damit seine Hochzeit ihn erlöse. Die Belagerung scherte ihn so wenig wie der Deich von La Rochelle.
Und ich, ich zählte die Tage und Nächte, bis der Neumond endlich das meiner Mission günstige Dunkel brächte.
Doch nichts in unserem Erdenleben ist sicher als der Tod: Mein Warten wurde unversehens abgekürzt. Als ich am nächsten Morgen
den Fuß vor die Tür setzte, herrschte ein so dichter und düsterer Nebel, daß ich am Fuß der Freitreppe Hörner, Nicolas und
unsere gesattelten Pferde nur wie übergroße, verschwommene Schatten gewahrte.
»Herr Graf«, sagte Hörner mit einer Stimme, die sich seltsam gedämpft und fern anhörte, »wenn Ihr jetzt nach Pont de Pierre
zum Herrn Kardinal reitet, gebt gut acht auf den Wegen: Man sieht Mensch oder Tier erst, wenn man draufstößt.«
Und so war es. Zum Glück bewegten sich Gefährte, Pferde und Soldaten aus Furcht vor Karambolagen mit der Geschwindigkeit von
Schnecken. Und immer wieder erschien alles Nahende ebenso schattenhaft wie riesengroß. Es war auch viel weniger Lärm als sonst,
so sehr erstickte die wattige Umhüllung jedes Geräusch.
In Pont de Pierre fand ich nur Charpentier vor. Der Kardinal, sagte er, sei trotz des Wetters zum Deich geeilt, weil er fürchte,
man könnte aufhören zu arbeiten, wenn er sich nicht zeige. Er habe mir aber Instruktionen hinterlassen. Wenn der dichte Nebel
bis zum Abend anhalte, solle ich, ohne auf den Neumond zu warten, die Geländeerkundung mit Bartolocci unternehmen. Dieser
erwarte mich gegen neun Uhr abends in seiner Hütte. Monsieur de Clérac werde ebenfalls dort sein und uns bis zum vordersten
Graben am Maubec-Tor begleiten, damit der dortige |229| Kommandeur unseren Aufbruch wie unsere Rückkehr nicht behindere.
Wieder in Brézolles, rief ich Hörner in mein Zimmer, um ihn in meinen Auftrag einzuweihen und zu hören, was er mir dazu riete.
Ich hatte volles Vertrauen zu ihm, denn angelegentlich des Hinterhalts von Fleury en Bière hatte er zu meinem Schutz so besonnene
Maßnahmen getroffen, daß man mit vollem Recht behaupten konnte, Hörner »kenne den Krieg aus dem Effeff«, wie Henri Quatre
zu sagen pflegte.
»Erlauben Sie mir, Herr Graf, Ihnen einen Rat zu geben«
, sagte er und erbat sich in seiner steifen und gewissenhaften Höflichkeit ebendas, was ich von ihm verlangte. Doch es blieb
nicht bei einem Rat.
Zum ersten, sagte er, solle ich dunkle Kleider anlegen, am besten schwarze, nichts an mir dürfe leuchten oder blinken. Sodann
solle ich Stiefel ohne Stulpen wählen, denn wenn ich den Pfad nur einmal verfehlte, wären die weiten Stulpen im Nu voll Wasser
und Schlamm. Er riet mir zu meinen hohen Reitstiefeln, die zum Fußmarsch zwar weniger geeignet waren, aber um die Knie dicht
anlagen. Weiterhin habe er dem Herrn Chevalier de Clérac (so nannte er Nicolas) bereits einen zwei Klafter langen Strick gegeben,
und er vermute, ich wolle mich damit an den vor mir im Dunkeln gehenden Salzarbeiter anseilen, um ihn nicht zu verlieren oder
vielmehr um ihm nicht verlorenzugehen.
»Gut, Herr Hörner«, sagte ich, »was können Sie mir sonst noch empfehlen?«
»Herr Graf«
, sagte er nach kurzem Nachdenken, »wenn dieser Salzarbeiter ein so undurchsichtiger Mensch ist, wie Sie sagten, sollten Sie
ihn zur Vorsicht gleich bei Betreten der Hütte von Eurem Junker von Kopf bis Fuß durchsuchen lassen. Dann sind Sie sicher,
daß er nicht etwa ein Messer bei sich trägt, mit dem er Sie im Finsteren verletzen könnte.«
»Vielen Dank, Herr Hörner. Das wäre alles, nicht wahr?«
»Herr Graf
«
, sagte er,
»darf ich eine andere
Weitere Kostenlose Bücher