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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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willst, anstatt hier im Schlamm zu verfaulen!«
    Wie der Leser sich entsinnen wird, waren es nur hundertfünfzig Klafter von dem vordersten Graben bis zu den Rochelaiser Mauern.
     Aber diesen Weg in aller Finsternis mit tastenden Füßen zurückzulegen, die eine Hand um einen Strick geklammert, ohne meinen
     Vorgänger zu sehen, war wirklich ein Vorgeschmack des Hades, denn jeden Augenblick fürchtete ich, den Pfad um Fußesbreite
     zu verfehlen und in den Sumpf zu rutschen, und daß mein Führer die Güte haben würde, mich herauszuziehen, bezweifelte ich
     stark.
    Ich versuchte, wenigstens die Wegkehren zu zählen, während ich Bartolocci nachtappte, merkte aber bald, daß ich mir die ständigen
     Richtungswechsel dadurch auch nicht besser einprägen konnte. Nebenbei bemerkt, entstieg diesen Sümpfen ein so fader, widerlicher
     Gestank, daß ich nur mit dem größten Ekel atmete. Mir schien, so rieche der Tod. Die Zeit, die ich diese unsicheren Pfade
     ging, dünkte mich endlos, und das Herz war mir zusammengezerrt vor Grauen, ich müßte in diesem Gestank versinken.
    Plötzlich blieb Bartolocci stehen, und zwar so jäh, daß ich fast gegen ihn stolperte.
    »Um Himmels willen, Herr«, flüsterte er, »stoßt mich nicht! Ich stehe am Rand des Grabens. Er ist voll Wasser, vielmehr voll
     Schlamm. Wir können nicht weiter.«
    »Das käme dir so zupaß! Aber ich glaube dir nicht!« sagte ich wütend.
    Doch Bartolocci mußte meinen Unglauben vorausgesehen haben, er drückte mir einen großen Stein in die Hand.
    »Bitte, Herr Graf«, flüsterte er, »werft den Stein sacht ins Wasser und horcht genau, welches Geräusch er macht.«
    Wirklich, ich hörte einen weichen Aufschlag, dem nach einer Weile ein saugendes Geräusch folgte. Der Stein sank ganz langsam
     in den Schlamm.
    »Wie breit ist der Graben?« fragte ich fast an seinem Ohr.
    |235| »Einen Klafter.«
    »Dann muß man ihn mit einer Planke überqueren können.«
    »Ja, so haben wir es immer gemacht, um an die Mauer heranzukommen.«
    »Wer, wir?«
    »Alle, die mit den Belagerten ihre Geschäfte machten.«
    »Und was ist auf der drübigen Seite?«
    »Eine fünfundzwanzig Fuß lange, überdachte Galerie, die an der Zugbrücke endet.«
    »Und was ist hinter der Zugbrücke?«
    »Das Maubec-Tor.«
    »Wie seid ihr über die Zugbrücke gekommen?«
    »Da kommt man nicht hinüber. Man konnte nur Körbe durch die Gitterstäbe schieben. Die Rochelaiser warfen uns Seile zu. Wir
     banden die Körbe fest, und so gingen Waren und Geld hin und her.«
    »Bartolocci, wieso sprichst du in der Vergangenheit?«
    »Weil es Vergangenheit ist, leider! Das ist ja das Unglück. Die Hugenotten haben den Schmuggel entdeckt und haben die Galerie
     mit Wolfsfallen gespickt. Fünf meiner Gefährten sind drin gefangen worden. Ich war, Gott sei Dank, noch auf dieser Seite des
     Grabens. Aber ich habe gehört, wie meine Freunde geschrien haben vor Schmerzen, und dann haben die Hugenotten sie von der
     Zugbrücke aus abgeknallt. Ich warf mich auf meiner Grabenseite flach zu Boden und habe mich nicht gerührt, bis alles ringsum
     still wurde. Ich habe von Kopf bis Fuß geschlottert, als ich den Rückweg antrat.«
    »Abgesehen von dem Schlottern«, sagte ich, »werden wir jetzt dasselbe machen. Hierbleiben nützt ja nichts.«
    Die Rückkehr kam mir schneller vor als der Herweg, wahrscheinlich hatte ich mich an diesen blinden Marsch durch die Sümpfe
     gewöhnt, vor allem aber war es ein Trost, dem Bekannten und Sicheren entgegenzugehen. Das einzige, was uns noch drohen konnte,
     war, daß man entgegen den Befehlen aus dem königlichen Graben auf uns schoß. Als wir nahe genug waren, rief ich leise den
     Namen der Königin und wurde erhört. Bartolocci und ich wurden zu dessen Hütte geleitet, und als Clérac dort Feuer schlug und
     ein Talglicht entzündete, sah er mich von oben bis unten mit Schlamm bespritzt.
    »Mein Gott, Herr Graf, wie seht Ihr denn aus!« rief er.
    |236| Nicolas bemühte sich, mich von dem gröbsten Schmutz zu reinigen, doch erst in Brézolles konnte ich mit Perrettes Hilfe die
     verdreckten Kleider abwerfen und mich waschen. Aber so oft ich auch Wasser durch die Nase einzog und es wieder ausschnob,
     wurde ich doch den Pestilenzgestank nicht los, den ich auf dieser schauerlichen Wanderung durch die Sümpfe eingeatmet hatte.
     Und immer, wenn ich seit jenem Tag an die Hölle denken muß, die ich hoffentlich nie kennenlernen werde, stelle ich sie mir
     nicht als einen düsteren

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