Kardinal vor La Rochelle
breite Zone, die weder ihnen noch uns gehörte und die sie nicht
gerade zu Ausfällen ermutigte, weil sie dieses Niemandsland erst ungedeckt hätten überwinden müssen, ehe sie uns angreifen
konnten.
Auf diesem neutralen, aber dem feindlichen Feuer ausgesetzten Gelände ließ Toiras am Aschermittwoch aberwitzigerweise seine
Hundemeute zur Hasenhatz los. Der Kardinal war über diese Tollkühnheit empört und redete mit Toiras vierzehn Tage kein Wort.
Doch zurück zu unserem Schmuggler und seinen Enthüllungen über das Maubec-Tor, das seiner Ansicht nach der schwächste Punkt
der Festung war. Hinter diesem Tor, erklärte er in seinem gebrochenen Französisch, erstreckten sich die einstigen Salzfelder,
auf denen er früher gearbeitet hatte, und die, seit die Stadt sie aufgegeben hatte, versumpft waren. Doch waren deshalb die
kleinen Pfade nicht ganz versunken, die sich noch immer wie Gitter durch das Gelände der kleinen Salzteiche zogen, die jeweils
nur an die fünf Klafter im Quadrat maßen. Diese Pfade, erklärte Bartolocci, konnte man noch begehen, ohne im Sumpf zu versinken.
Sie bildeten aber ein wahres Labyrinth, in |224| dem man sich auskennen müsse, um zu den Stadtmauern zu gelangen, ohne daß man in die Irre lief. Und weil die Rochelaiser es
für ausgeschlossen hielten, daß die Königlichen sich durch diesen Irrgarten jemals bis zum Maubec-Tor hindurchfinden könnten,
bewachten sie es nur nachlässig. Das ermöglichte es den ehemaligen Salzarbeitern, sich bei Nacht bis an die Mauer neben dem
Maubec-Tor zu schleichen und ihre kleinen Geschäfte mit den Belagerten zu betreiben, die ihrerseits verwegen genug waren,
dem Strick zu trotzen und, wie der Koch der Herzogin von Rohan gesagt hatte, »lieber hängen wollten als verhungern«.
»Bartolocci«, sagte Richelieu eifrig, »wenn ich recht verstehe, ist das Maubec-Tor nur zu erreichen, wenn man von einem Salzarbeiter
geführt wird.«
»Certamente, Vostra Eminenza.«
»Gut, bist du bereit, einer solchen Expedition als Führer zu dienen?«
»Ma certo!«
sagte Bartolocci.
»Ma sì, Vostra Eminenza! Ma sì, per l’amor di Dio!«
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»Schön, dann sollst du begnadigt werden und deinen Passierschein erhalten«, sagte der Kardinal. »Aber bevor es so weit ist,
wirst du mit einem meiner Offiziere erst einmal in tiefer Dunkelheit einen Erkundungsgang zum Maubec-Tor unternehmen.«
Hierauf schlug Bartolocci sonderbarerweise die Augen nieder und blieb stumm. Was sollte das heißen, fragte ich mich, eine
solche Begeisterung, uns bei dem Sturmangriff zu führen, aber eine so große Zurückhaltung, wenn es sich nur um einen Erkundungsgang
handelte, der doch weit weniger gefährlich war?
»Nun, Bartolocci?« fragte Richelieu, indem er ihm streng in die Augen blickte, und sein scharfer Ton ließ klar erkennen, daß
der Pakt null und nichtig wäre, wenn der Mann sich weigerte.
»Vostra Eminenza
«
, sagte Bartolocci, »wenn ich die
ricognizione del terreno
2 mache, gebt Ihr mir dann
la grazia e il salvacondotto
?«
»Ja, sicher«, sagte Richelieu.
|225| Bartolocci hob den Kopf und richtete einen Blick auf den Kardinal, der so frank und frei wie möglich wirken sollte.
»Allora«
, sagte er,
»sono d’accordo per la ricognizione, Vostra Eminenza.«
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»Charpentier«, sagte der Kardinal, der die unerquickliche Unterredung rasch beenden wollte, »begleite den Signor Bartolocci
hinaus.«
Als die Tür sich hinter dem Schmuggler geschlossen hatte, seufzte er auf.
»Es ist bedauerlich«, sagte er, »aber Krieg und Politik zwingen einen manchmal, Werkzeuge zu benutzen, die man nur sehr widerstrebend
zur Hand nimmt. Dieser Salzarbeiter flößte mir ungefähr so viel Vertrauen ein wie eine Giftschlange. Trotzdem kann es sein,
daß er die Wahrheit sagt und daß wir diesen Weg erforschen sollten. Ich möchte mit der Sache nur keinen Offizier der Königlichen
Armeen betrauen. Sie sind tapfer, gewiß, aber sie wollen mit ihren Heldentaten prahlen, und, wie Ihr verstehen werdet, ist
in dieser Angelegenheit Geheimhaltung das oberste Gebot. Meine Herren, wißt Ihr jemanden Verläßlichen, der diese Geländeerkundung
übernehmen könnte?«
»Wir, zum Beispiel!« sagte Pater Joseph, der den Kardinal so gut kannte, daß er seine Gedanken erriet, bevor sie ausgesprochen
waren.
»Warum nicht?« sagte Monsieur de Guron.
»Ja, warum nicht?« sagte ich.
»Meine Herren, ich danke Euch«, sagte Richelieu. »Wer von Euch würde sich
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