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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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noch abzusetzen: Man hätte das Geheimnis der Verhandlung allen offenbaren
     müssen, auch den Pastoren und jenen wohlhabenden Rochelaisern, die noch zu essen hatten und also nicht verhandlungsbereit
     waren. Guiton und seine Schöffen quittierten den Tatbestand mit düsterem Schweigen: Die Belagerung dauerte weitere sechs Monate,
     und die Folge war, daß die Einwohner bis auf einen Bruchteil verhungerten. Ich wette, noch nie in der Weltgeschichte hat wohl
     ein Einzelner durch seine Anmaßung den Tod so vieler Menschen auf sich geladen wie dieser Sanceaux.
    Zwei Wochen nach dem Feuer auf die königliche Trommel nahm mein persönliches Geschick eine so unverhoffte und, ich muß sagen,
     so liebenswerte Wendung, daß ich die Belagerung und ihre Schrecken eine Zeitlang vergaß. Ein schwer verzeihliches Vergessen,
     ich weiß, das aber verständlich wird durch meine Freude, dem Morast und den widrigen Winden des Feldlagers um freundlicherer
     Gefilde willen den Rücken zu kehren.
    Sowie ich an jenem Morgen im Hause Richelieus in Pont de Pierre erschien, wurde ich gleichsam von Charpentier geschnappt und
     zum Kardinal geführt, ein untrügliches Zeichen, daß Seine Eminenz ein dringliches Anliegen an mich hatte.
    »Monsieur d’Orbieu«, sagte der Kardinal, kaum daß ich eingetreten war, »bitte, nehmt Platz.«
    Doch wartete er nicht einmal, bis ich saß.
    »Seine Majestät wünscht«, fuhr er fast in einem Atemzug fort, »daß Ihr morgen aufbrecht nach Nantes, Monsieur d’Orbieu.«
    »Nach Nantes, Herr Kardinal?« sagte ich, augenblicklich von Glück durchströmt und nur bemüht, mir nichts anmerken zu lassen.
     »Selbstverständlich stehe ich Seiner Majestät ganz zu Diensten.«
    »Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu, der mein Kompliment mit einer Handbewegung wegwedelte wie eine lästige Fliege, »habt
     Ihr einmal vom Baron de La Luthumière gehört?«
    |269| »Ja, Herr Kardinal: Im Louvre bezeichnete ihn jemand eines Tages als den Piratenbaron.«
    »Das ist wieder so ein dummes Hofgeschwätz wie üblich«, sagte Richelieu. »La Luthumière ist kein Pirat. Er ist Gouverneur
     von Cherbourg und hat vom König den schriftlichen Auftrag erhalten, den feindlichen Schiffen aufzulauern. Demzufolge ist er
     ein gesetzlich anerkannter königlicher Korsar. Genauso übrigens wie Eure Brüder, Monsieur d’Orbieu.«
    »Wie? Meine Brüder haben sich auf die Freibeuterei verlegt?« fragte ich verdutzt.
    »In Kriegszeiten läßt man seinen gewöhnlichen Seehandel ruhen und jagt Beute auf hoher See. Und Eure Brüder verstehen das
     ausgezeichnet, nur können sie mit ihren drei bewaffneten Fleuten keine großen Prisen machen, so wie der Baron de La Luthumière,
     der über eine kleine Flotte gebietet. Zur Sache denn: Durch unsere Spione vom Aufbruch der englischen Armada nach Plymouth
     benachrichtigt, machte es sich Monsieur de La Luthumière zunutze, daß besagte Armada von einem Sturm schwer gebeutelt war,
     und lief in loser Formation aus, die versprengten Schiffe im Ärmelkanal anzugreifen. Das Ergebnis dieser Angriffe übersteigt
     jede Vorstellung: Drei englische Schiffe hat er versenkt und vier gekapert. Weil er sich mit diesen aber in Cherbourg nicht
     sicher fühlte, brachte er die Schiffe nach Nantes.«
    Richelieu schwieg und legte, die Augen halb geschlossen, eine Hand auf den Nacken seiner Katze, zog sie jedoch zurück, als
     hätte er sich bei dem Wunsch, sie zu streicheln, ertappt.
    »Zur Erläuterung Eures Auftrags, Monsieur d’Orbieu«, fuhr er fort, »will ich Euch über gewisse Umstände aufklären, die Ihr
     vielleicht nicht oder nur unzureichend kennt. Die guten Engländer, die unserer ungastlichen Küste (und hierbei huschte ein
     Lächeln über sein schmales, von der Erschöpfung ausgehöhltes Gesicht) jüngst schleunig den Rücken kehrten, hatten nach Buckinghams
     ursprünglichem Plan zwanzig Kriegsschiffe gegen uns flottmachen wollen – Ihr wißt zweifellos, daß Kriegsschiffe auf Grund
     ihrer Größe, ihrer umfangreichen Mannschaft und der Vielzahl ihrer Kanonen den Kern einer Flotte bilden. Nun durchforschten
     die Engländer sämtliche Häfen ihrer Insel, fanden aber nur vierzehn Kriegsschiffe in seetauglichem Zustand. Das sind fast
     halb so wenige, als wir vor |270| La Rochelle versammelt hatten, nämlich vierundzwanzig. Nun hat ihnen La Luthumière mit einem großartigen Sieg noch drei versenkt
     und vier gekapert. Damit sind die stärksten Verbände der englischen Flotte reduziert auf

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