Kardinal vor La Rochelle
Wir wissen, was mit seinen Steinhaufen passieren wird:
Der nächste Sturm fegt sie im Handumdrehen auseinander.‹
›Und die Palisaden?‹ hielt ich ihnen dann entgegen.
›Firlefanz, Herr Marquis!‹ sagten meine Wächter, ›die Palisaden sind nichts wie dicke Stöcke im Schlick. Die Engländer schießen
ein paar Brandbomben bei sinkender Flut dagegen, wir ein paar Brandbomben bei steigender, und dann sehen wir den Salat.‹
Ich war baff über solche Reden. Englische Brandbomben, dachte ich, mag sein, aber wie sollen Rochelaiser Brandbomben an die
Palisaden kommen, da sie doch jenseits des Deiches stehen? Natürlich verschwieg ich meinen Wächtern diese Gedanken.
›Immerhin‹, sagte ich, ›muß aber die englische Flotte, bevor sie sich die Palisaden vornehmen kann, die königliche Flotte
angreifen.‹
Aber sie lachten nur lauthals.
›Herr Marquis, Ihr scherzt: Die Königin der Meere macht einmal Happs, und weg ist das kleine Scheißgeschwader!‹
Wieder war ich entgeistert über solche Reden (wie ich sie mehrfach auch auf meinen bewachten Spaziergängen am Hafen und in
der Stadt hörte). Offenbar wußten die Rochelaiser nicht, oder der Stadtrat sorgte dafür, daß sie es nicht wußten, daß dieses
›kleine Scheißgeschwader‹ nur eine Schildwache war und daß das Gros der königlichen Flotte in Brouage und in dem neu gebauten
königlichen Hafen von Fort Louis vor Anker lag, und |265| zwar voll bewaffnet und bereit, das ›kleine Scheißgeschwader‹ zu verstärken, sobald die Kanonen der Insel Ré signalisierten,
daß im Bretonischen Pertuis englische Segel aufkreuzten.«
Um es zu wiederholen, Leser, ich bezweifle stark, daß der Rochelaiser Bürgermeister, Jean Guiton, und der Stadtrat eine so
töricht vertrauensselige Einschätzung der Lage teilten. Vielmehr glaube ich, daß sie diese in der Bevölkerung propagierten,
um den Menschen genug Hoffnung zu geben, damit sie ihren schrecklichen Hunger ertrugen. Zu ihrem Unglück, ihrem ganz großen
Unglück, führten sie aber dieselbe Sprache gegenüber den Engländern. Um diese zur Hilfeleistung zu ermutigen, versicherten
sie ihnen unter anderem sogar, die französische Flotte vor La Rochelle sei ziemlich »wehrlos«.
»In Frankreich wie in England, vor allem in England, heißt es nun nachträglich«, fuhr Monsieur de Bressac fort, »Lord Denbigh
habe sich feige verhalten, indem er eine Woche tatenlos vor der Bucht von La Rochelle verharrte, und König Karl soll ihm bei
der Heimkehr deshalb die Leviten gelesen haben. Diese Ansicht teile ich keinesfalls. Gewiß war es von Buckingham unverantwortlich
gewesen, besagtem Lord, der noch nie zur See gefahren war, das Kommando zu übertragen. Doch hatte dieser als Berater nicht
nur die Schiffskapitäne zur Seite, sondern auch einen echtbürtigen Seemann, seinen Vizeadmiral Sir Henry Palmer. Und der war
entsetzt, als man vor der Bucht von La Rochelle anlangte und als erstes auf eine furchtgebietende Flotte traf, sodann auf
Palisaden, die ebenso schwer zu durchfahren wie zu zerstören waren, und schließlich noch auf einen hohen Deich, der, was immer
man ihm darüber auch erzählt hatte, gespickt war mit Kanonen. Und als wäre dies alles noch nicht genug, lagen zu beiden Seiten
der Bucht – in der es ja zwischen den Hindernissen zu navigieren galt – reihenweise Forts und Schanzen, deren Batterien nur
darauf warteten, die Engländer unter Beschuß zu nehmen. Und die Kapitäne König Karls, die sich sprachlos einer fast doppelten
Anzahl großer Kriegsschiffe gegenüberfanden, sagten laut und vernehmlich, es sei völlig abwegig, eine Flotte Seiner Majestät
aufs Spiel zu setzen, um den Rochelaisern Lebensmittel für einen knappen Monat zu liefern.«
Der Leser möge nicht glauben, die Engländer hätten sich leichten Herzens zur Tatenlosigkeit und zur Umkehr entschlossen. |266| Jedenfalls aber setzten sie am Abend des neunzehnten Mai die Segel und drehten zur Rückkehr auf ihre Insel ab in den Bretonischen
Pertuis.
Wie ich später von Lady Markby erfuhr, hatte Sir Henry Palmer, dessen vertraute Freundin sie war, als einer der ersten Lord
Denbigh abgeraten, sich mit seiner Flotte in diese gefährliche, fallenreiche Klamm zu begeben, in welche die Bucht von La
Rochelle sich verwandelt hatte: Selbst wenn es glückte hineinzugelangen, war es doch zweifelhaft, ob man wieder herauskäme.
Auch berichtete sie mir, daß Sir Henry Palmer an dem Abend, als die englische
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