Kardinal vor La Rochelle
sieben, die es künftig mit unseren
vierundzwanzig aufzunehmen haben. Aber wir könnten es noch besser. Monsieur d’Orbieu, ahnt Ihr, worauf ich hinauswill?«
»Herr Kardinal«, sagte ich sofort, »wenn die königliche Flotte sich die vier Schiffe von Monsieur de La Luthumière einverleiben
könnte, wüchse sie an auf achtundzwanzig.«
»Wie aber sollte der König«, fuhr Richelieu fort, »sich der vier englischen Schiffe La Luthumières bemächtigen? Der Bestallungsbrief,
der ihn zum königlichen Freibeuter erklärt, gesteht ihm das Prisenrecht zu. Wie Ihr wißt, ist im Prinzip an dem erbeuteten
Schiff alles sein: das Gefährt selbst, die Mannschaft, die Kanonen, das Pulver samt allen verderblichen oder beständigen Gütern
an Bord. Nun muß aber die Rechtmäßigkeit einer Prise von der Cour des Prises anerkannt werden, einem königlichen Gericht.
Pflichtgemäß wies ich den König auf diesen Ausweg hin. Seine Majestät wollte aber selbstverständlich keinen so ungerechten
und schimpflichen Prozeß gegen einen Edelmann anstrengen, der ihm so gut gedient hat. Wenn wir jedoch eine solche Überlegenheit
über die Engländer erreichen wollen, daß sie es nicht mehr wagen, La Rochelle zu unterstützen, brauchen wir diese vier Schiffe.
Seht Ihr, Monsieur d’Or bieu , eine andere Möglichkeit, die Schiffe zu erwerben?«
Mir war klar, daß der Kardinal mir – wie Sokrates seinen Schülern – eine Frage stellte, deren Antwort er bereits kannte, um
mich auf diese Weise für einen Auftrag zu begeistern, indem er mich dessen Notwendigkeit selbst entdecken ließ.
»Herr Kardinal«, sagte ich, »sofern die Finanzverwaltung Seiner Majestät genügend Geld hat und Monsieur de La Luthumière auf
einen Handel eingeht, wäre es angezeigt, ihm diese Schiffe abzukaufen.«
»Getroffen, Monsieur d’Orbieu. Was die Kosten anbelangt: Nachdem der König die Bischöfe Frankreichs bereits um drei Millionen
erleichtert hat, wird er ihnen wohl auch noch eine Million mehr abringen können.«
Nebenbei bemerkt, Leser, ergötzte es mich, daß ein Kardinal auf Bischöfe das Wort »erleichtern« anwandte.
|271| »Eine Million ist eine stattliche Summe«, fuhr Richelieu fort, »aber es soll Euch überlassen bleiben, welches erste Gebot
Ihr Monsieur de La Luthumière machen wollt.«
Also heißt es handeln, dachte ich! Und das mit einem Korsaren! Einem Korsaren, der sicherlich kein Kind war, dem man das Brot
in Scheibchen zuteilt!
»Herr Kardinal«, sagte ich, »es könnte aber sein, daß Monsieur de La Luthumière auf diese vier englischen Kriegsschiffe so
stolz ist, daß er es rundheraus ablehnt, sich davon zu trennen. Darf ich ihm dann vorschlagen, sie dem König für die Dauer
der Belagerung zu vermieten?«
»Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu mit einem Blitzen in den Augen, »könnte es sein, daß Ihr jetzt mit mir handeln wollt?«
»Keineswegs, Herr Kardinal«, sagte ich voll des höchsten Respekts, »ich dachte daran nur für den Fall, daß es Monsieur de
La Luthumière zu sehr widerstreben sollte, den Ruhm seiner Freibeuterei zu veräußern. Das Mietgebot wäre natürlich mein letzter
Ausweg.«
»Als solchen akzeptiere ich es«, sagte Richelieu, »aber der Mietzins dürfte hunderttausend Livres nicht übersteigen.«
»Herr Kardinal, darf ich noch etwas fragen?«
»Fragt, Monsieur d’Orbieu.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, wird Monsieur de La Luthumière ein harter Verhandlungspartner sein. Dürfte ich, um ihn günstig
zu stimmen, vielleicht andeuten, daß der König ihn zum Dank für seine Heldentaten im Adelsrang zu befördern gedenkt?«
»Das dürft Ihr, sagt ihm aber gleich, daß zwischen Vorsatz und Ausführung einige Monate verstreichen könnten. Im übrigen,
Monsieur d’Orbieu«, setzte der Kardinal mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, »seid Ihr nicht selbst ein Beispiel für solchen
Aufschub?«
***
Am fünfzehnten Juni, bei klarem und sonnigem Himmel, brachen wir auf nach Nantes, Monsieur de Clérac mit fünfzehn Musketieren
und einem Karren voller Zelte, ich, Nicolas, meine Karosse und meine elf Schweizer samt ihrem Karren. Wie immer wechselte
ich, um nicht zu ermüden, zwischen Sattel und |272| Kutsche und lud mir, wenn ich fuhr, bald Monsieur de Clérac, bald Nicolas zur Gesellschaft.
Unsere Reise von La Rochelle nach Nantes dauerte sechs Tage, und je weiter wir uns von Saint-Jean-des-Sables entfernten, desto
trüber und schweigsamer wurde mein
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