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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Flotte umkehrte, auf dem Achterdeck des Admiralsschiffes
     gestanden und voll Beklommenheit und Mitleid gesehen habe, wie die Türme und Wälle der armen Stadt am Horizont kleiner und
     kleiner wurden: Die englische Flotte überließ sie gezwungenermaßen dem Hunger und nahm in ihren Laderäumen die nutzlos gewordenen
     Nahrungsmittel mit zurück, die sie ihr großmütig hatte bringen wollen.
    Schöne Leserin, im Zusammenhang mit dieser englischen Expedition will ich Ihnen noch eine Episode erzählen. Ursprünglich nichtswürdig
     und sinnlos, war sie in ihren Folgen so verheerend, daß es mich mit unauslöschlicher Empörung und Zorn erfüllte und es mir
     noch heute, da ich mich dessen erinnere, die Kehle zuschnürt und Tränen in die Augen treibt.
    Als Lord Denbigh sich unter dem Druck der Kapitäne und seines Vizeadmirals entschloß, nichts gegen die machtvollen Befestigungswerke
     der Bucht zu unternehmen, schrieb er dem Bürgermeister Jean Guiton und dem Stadtrat einen Brief, den ein verwegener Rochelaiser
     Seemann, der sich an Bord befand, unter großer Mühsal und Gefahr – indem er alle Hindernisse der Bucht bei Nacht in einer
     Nußschale überwand –, an seinen Bestimmungsort brachte. Diesen Brief verlas Guiton vor dem versammelten Stadtrat, nachdem
     er die Schöffen auf die Bibel strengste Geheimhaltung hatte schwören lassen. Lord Denbigh gab den Rochelaisern bekannt, daß
     er mangels ausreichender Mittel darauf verzichten müsse, in die Bucht einzudringen und die Stadt mit Lebensmitteln zu versorgen.
     Deshalb forderte er die Rochelaiser auf, mit dem König von Frankreich zu verhandeln. »Wenn man Ihnen«, so lautete der Brief,
     »eine Vereinbarung anbietet, durch die Sie sich retten können, verwerfen Sie sie nicht, vor allem nicht, solange wir hier
     sind. Nur die äußerste |267| Notlage, in der wir Sie vermuten, und unsere zu geringen Mittel, um Ihnen Hilfe leisten zu können, bewegen uns zu unserem
     tiefen Bedauern, Ihnen diesen Vorschlag zu unterbreiten.«
    Nach einer Weile der Lähmung und der furchtbarsten Verzweiflung faßte sich Guiton und überzeugte den Stadtrat, zwei Eisen
     im Feuer zu halten: Zum einen sollten Gesandte zu König Karl von England reisen und ihn anflehen, eine zweite, stärkere Expedition
     zu entsenden, und gleichzeitig wollte man unterderhand mit dem König von Frankreich verhandeln.
    Wenige Tage darauf erhielt ein ehemaliger Bürgermeister von La Rochelle, Paul Yvon, der alt und gebrechlich war, vom Stadtrat
     die Erlaubnis, die Mauern zu verlassen, und vom König einen Passierschein, dank dessen er durch die Umzingelung zu seinem
     Gut Laleu gelangen konnte, um Brot und Frieden zu finden. Guiton nun beauftragte Paul Yvon, Richelieu zu fragen, zu welchen
     Bedingungen der König zur Verhandlung bereit wäre. Es war vereinbart worden, daß Yvon, wenn die Bedingungen schlecht wären,
     heimlich zurückkehren und den Stadtrat mündlich unterrichten sollte. Wenn sie indes annehmbar wären, sollte ein königlicher
     Trommler vorm Tasdon-Tor Einlaß verlangen. Wenn sie aber gut wären, sollte Ludwig statt des Trommlers einen Trompeter schicken.
    Ludwig und der Kardinal ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe. Doch, was zunächst seltsam anmuten mag, schickten sie zum
     Tasdon-Tor anstatt eines Trommlers oder Trompeters einen Trommler und einen Trompeter. Vielleicht wollten sie dem Stadtrat
     auf diese Weise andeuten, daß die Bedingungen des Königs annehmbar seien, daß sie aber gut werden könnten, wenn jeder sein
     Bestes versuche. Wie dem auch sei, vor dem Tasdon-Tor erscheinen also Trommler und Trompeter, der eine trommelt, der andere
     trompetet. Und nun, schöne Leserin, mischt sich der größte und eitelste Schwachkopf, den man je sah, als Sandkorn ins Getriebe:
     Sanceaux. Er hört die königlichen Boten draußen trommeln und blasen und sagt sich, daß das wohl nichts anderes bedeuten könne,
     als daß der Stadtrat insgeheim, unterderhand, ohne ihn im mindesten einzuweihen, mit dem Feind verhandle, ohne ihn, Sanceaux,
     den heiligen Wächter der Mauern! Der seiner Wichtigkeit angetane Schimpf entflammt den Mann, in seinem tollwütigen Zorn und
     Eifer |268| greift er sich eine Muskete, legt an, feuert und zerschießt dem königlichen Trommler die Trommel, und dieser macht sich mit
     dem Trompeter erschrocken aus dem Staube. Eigentlich war es ein Majestätsverbrechen. Die kaum eingeleitete Verhandlung brach
     ab. Der Stadtrat wagte Sanceaux weder zu bestrafen

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