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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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erwartete. Madame de Brézolles bat den servierenden Diener, ihr ein silbernes Kästchen zu bringen, das in ihrem
     Schlafzimmer auf dem Nachttisch stehe. Als der Diener jedoch mit dem Kästchen erschien, stellte sie es achtlos neben sich
     auf den Boden und entließ den Diener mit höflichem Dank. Da nun nahm sie das Wort, nicht ohne mich vorher auf eine sehr eigene
     Weise anzublicken, mitten beim Teetrinken, so daß ihre goldbraunen Augen mit den flackernden Reflexen der Kerzenlichter dicht
     überm Rand der blaßblauen Tasse glänzten, die sie zum Mund führte.
    »Monsieur«, sagte sie, indem sie sie absetzte, »wenn ich nicht ganz irre, bedeuten Eure Blicke, daß Ihr mich schön findet.«
    »Madame«, sagte ich lächelnd, »wenn meine Augen mich auch verraten, so verraten sie doch nicht die ganze Wahrheit. Fest steht:
     Mir gegenüber sitzt
la donna più bella della creazione
1 .«
    »Ist das alles, Monsieur?« sagte Madame de Brézolles, indem sie schalkhaft die Brauen hob. »Bin ich für Euch nur ein Gemälde,
     das man bewundert? Genauso andächtig könntet Ihr vor dem Bild meiner Urgroßmutter im Treppenhaus verharren, die in ihrer Jugend
     eine vollkommene Schönheit war.«
    »Madame, da gibt es einen großen Unterschied. Eure so schöne Urgroßmutter ist leider nur noch Leinwand und Farbe, Ihr aber
     seid lebendig. Und das Lebendige, Madame, wenn es Euch gleicht, berührt mich in einer Weise, die weit über jedes Kunstgefühl
     geht.«
    |43| »Das ist mir zu unklar. Bitte, Graf, sprecht ohne Umschweife! Soll Eure Verklausulierung heißen, daß Ihr
Appetit
auf mich habt?«
    »Genau das, Madame, hätte ich gesagt, wenn Ihr es mir erlaubt hättet.«
    »Und nun«, sagte sie und lachte leise, »muß ich es nicht mehr erlauben, da Ihr es ausgesprochen habt.«
    »Ich hätte es aber nicht ausgesprochen, wenn Ihr mich nicht dazu ermuntert hättet.«
    »Durfte ich Euch, Monsieur, denn ohne Erbarmen allein und verloren in den Abgründen eines Geständnisses zappeln lassen?«
    »Madame, glaubt mir, ich werde es Euch bis zu meinem letzten Atemzug danken, daß Ihr mir halft, mich zu erklären.«
    »Dann ist dies also eine Erklärung?«
    »Was sonst, Madame?«
    »Hm«, sagte sie nach kurzem Schweigen, »und was machen wir nun damit?«
    »Richtig: was machen wir nun?«
    »Monsieur, ich sagte: ›Was machen wir nun damit?‹ Überspringt mir dieses ›damit‹ nicht: Es ist meine letzte Bastion.«
    »Wahrhaftig, Madame, wie unklug, mir das zu gestehen! Euch hätte ich das Kommando über die Zitadelle von Saint-Martin nicht
     anvertraut.«
    »Ich bin ja auch keine Zitadelle, Monsieur, sondern ein schwaches Weib, dessen letzte Bastion dieses ›damit‹ ist.«
    »Und wie kann die letzte Bastion genommen werden?«
    »Monsieur, Ihr habt Euch erklärt. An mir ist es nun zu entscheiden. Soll ich grausam sein oder mich Eurem Willen ergeben?«
    »Und warum nicht, Madame, wenn Ihr wollt, was ich will?«
    »Das ist ja der Punkt: will ich, was Ihr wollt? Immerhin, Monsieur, regt sich in mir ein ungezogener kleiner Verräter, der
     nur darauf wartet, Euch zu helfen.«
    »Ah!« rief ich, »lieber kleiner Verräter, was hast du mir zu sagen?«
    »Nun, dies: Euer Zimmer, Monsieur, hat zwei Türen. Durch die eine geht Ihr beliebig ein und aus, die andere ist doppelt abgeschlossen.
     Es ist die Tür zur Zitadelle. Aber natürlich gibt es einen Schlüssel.«
    |44| »Wo?«
    »In diesem Kästchen«, sagte sie, indem sie ihren Reifrock beiseite nahm, damit ich es sah. »Es könnte nun sein, Monsieur,
     daß ich das Kästchen aus Versehen hier vergesse, wenn ich gehe. Auch könnte es sein, daß Ihr, nachdem ich gegangen bin, es
     mitnehmt in der ehrbaren Absicht, es mir wiederzugeben, und darum den Schlüssel zu besagter Tür ausprobiert. Wohlgemerkt,
     ist es immer der unverschämte kleine Verräter, der Euch das alles anvertraut. Was mich betrifft, habe ich nichts damit zu
     schaffen. Es könnte sogar sein«, setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »daß ich den unverfrorenen Schlingel bestrafe, indem
     ich auf der anderen Türseite den Riegel vorlege, so daß Euer Schlüssel völlig unnütz ist.«
    »Gütiger Himmel, Madame! Das wäre Verrat an Eurem kleinen Verräter! Und welch ein abscheulicher! Außerdem spieltet Ihr auch
     mir den grausamsten Streich, denn nach der letzten Bastion träfe ich auf eine allerletzte, die ich nicht überwinden könnte!«
    »Ihr wißt aber doch, Monsieur, daß es zur guten Kriegführung gehört, die

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