Kardinal vor La Rochelle
Verteidigungen zu staffeln.«
»Ja, wenn wir im Krieg wären, aber ich versuche vielmehr mit Euch, Madame, die liebreichsten und friedvollsten Bande zu knüpfen.«
»Schön, Monsieur, nehmt hier dies Unterpfand! Und ich werde jetzt mit meinem kleinen Verräter beratschlagen, was wir machen:
den Riegel vorlegen oder nicht vorlegen.«
Hiermit erhob sie sich. Auch ich erhob mich und verneigte mich tief, aber mit etwas frostiger Miene.
»Wie Ihr wollt, Madame«, sagte ich.
»Monsieur!« rief sie und machte große Augen, »Ihr seid doch nicht etwa ein Erzengel? Wie, kein Groll! Kein Haß! Wenn ich mich
entziehe, nachdem ich Euch zugestandenermaßen so dreist provoziert habe, schimpft und wütet Ihr nicht? Ist das die Möglichkeit?
Ihr lauft nicht fluchend davon mit dem Schwur, diese ausgemachte Kokette nie im Leben wiederzusehen?«
»Weshalb, Madame? Ihr seid frei. Steht mir ein Urteil zu über den Gebrauch, den Ihr von Eurer Freiheit macht? Gewiß werde
ich diesen Ort voll Kummer verlassen, aber ohne jede Erbitterung, und in aller Dankbarkeit für Eure Gastfreundschaft und den
großen Vorzug, den Ihr mir gewährtet, Eure |45| Schönheit zu schauen, auch wenn sie mir so unerreichbar blieb wie Eure gemalte Urgroßmutter.«
Hierbei blickte Madame de Brézolles mich wiederum nachdenklich an.
»Graf«, sagte sie schließlich mit zärtlicher Stimme, »daß Ihr tapfer seid, wußte ich, aber Ihr seid auch sehr geistreich,
vor allem aber seid Ihr so menschlich und gütig, daß es schwerfiele, Euch nicht zu lieben. Wenn ich Ihr wäre, nähme ich die
gebotene Herausforderung an.«
Damit nahm sie einen der beiden Leuchter vom Tisch und wandte sich zur Tür, die der Diener auf ihr Geheiß offengelassen hatte.
Ich machte Anstalten aufzuspringen und ihr den Leuchter abzunehmen, doch das wollte sie nicht, sie wolle allein zu ihrem Gemach
gehen, sagte sie, wo ihre Zofe sie erwarte, um ihr das Mieder aufzuschnüren und sie zu entkleiden. Ich möge mich noch ein
Viertelstündchen verweilen, bis ich mein Zimmer aufsuchte. Und sie entfernte sich, den Leuchter in der Hand, mit schwingendem
Reifrock, gleich einem Segler auf hoher See. Kleines Schiff, dachte ich, du findest gewiß einen guten Hafen, so gewandt, wie
du gesteuert wirst!
Wie trüb und traurig erschien mir der kleine Salon, nachdem sie ihn verlassen hatte! Und wie baff hing ich der unglaublichen
Geschicklichkeit nach, mit der die Marquise ihr Spiel geführt hatte, zuerst diese unverhohlenen Avancen, dann sogleich der
Rückzug, dann wieder Hoffnung, aber durch Zweifel gedämpft! Und zuletzt war ich der arme Bittsteller, obwohl man mich anfangs
so verwegen aus der Reserve gelockt hatte! Donnerwetter! dachte ich, Machiavelli hat uns nichts Neues gesagt, das
gentil sesso
beherrscht instinktiv alles das, was er zu erfinden glaubte.
Am meisten beschäftigte mich bei weiterer Überlegung jedoch, daß Madame de Brézolles die Dinge dermaßen überstürzte. Warum
diese Eile, verflixt? Ich kannte sie doch erst seit dem Vortag, aber schon am Vortag hatte sich zwischen uns ein so bezauberndes
Einvernehmen gebildet, daß kein Zweifel bestand, welchem Ende wir allgemach entgegengleiten würden. Wieso dann aber die Extrapost?
Mit verhängten Zügeln? Wo lag die Dringlichkeit? Es sah ja geradezu aus, als hätte Madame de Brézolles sich einen Plan gemacht,
den sie Tag für Tag, Stunde für Stunde und Minute für Minute strikt befolgte. |46| In der rechten Hand den Leuchter, den sie mir dagelassen hatte, ergriff ich mit der linken das Kästchen, das mich kostbarer
dünkte, als wäre es aus purem Gold, und drückte es, um es bequemer zu tragen, an meine pochende Brust. Als ich die große Treppe
zur oberen Etage hinaufstieg, schien die Urgroßmutter von Madame de Brézolles – auf ewig schön in ihrem Goldrahmen – mir einverständig
zuzulächeln. Ob dieses Lächeln nur von den tanzenden Flammen kam, wer weiß, das günstige Zeichen ließ ich mir jedenfalls gefallen.
Schließlich wäre ich ja ein Dummkopf, sagte ich mir, der Braut die allzu eilige Gefügigkeit vorzuwerfen und lange zu mäkeln,
wenn die Zitadelle sich mir von selbst auftat.
Nachdem ich meine Zimmertür von innen verschlossen hatte, warf ich Wams und Stiefel ab und reinigte mir Mund und Hände. Dann
entnahm ich dem Kästchen den Schlüssel zum Garten Eden, hätte ich fast gesagt, wenn ich nicht fürchten müßte, den Herrgott
zu sehr zu kränken, aber zu dem einzigen
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