Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Und doch, wie sollte ein Mann vor der abenteuerlichsten Wahl, die es überhaupt gibt, nicht zurückscheuen?
     Oh, gewiß! Wenn der Herr in seiner Güte – die ich vielleicht nicht verdiene – mir einen Sohn wie Nicolas bescheren würde,
     wäre ich dann nicht der glücklichste Mensch auf Erden? Aber was, wenn dieser Sohn tückisch wäre wie ein Kater, dumm wie ein
     Hänfling, stur wie ein Maultier, feig wie ein Hase, lasterhaft wie ein Wurf Mäuse? Wenn er, um es auf den Punkt zu bringen,
     nichts von den Tugenden hätte, die mir an Nicolas so gefielen, wenn er nicht seine Schönheit hätte noch seinen Verstand, nicht
     seine Nächstenliebe, seine Tapferkeit, seinen wunderbaren Takt? Und wenn ich mich schon bei der Wahl seiner Mutter täuschte?
     Wenn es einer Zieräffin gelänge, mir ihre Fehler zu vertuschen und Vollkommenheit vorzugaukeln, die sie nicht hat? Dann würde
     ich in dem Sohn schließlich alles wiederfinden, was mich schon an der Falschspielerin enttäuscht und abgestoßen hatte. Wie
     grausam wäre dann die doppelte Bürde, die ich bis ans Ende meiner Erdentage schleppen müßte!
    |38| Meine Stute, die, unempfänglich für meine Gedanken, den wenn auch noch fernen Stallgeruch witterte, ging auf einmal in munteren
     Trab über. Ich mußte wieder die Zügel ergreifen und war meinem Sinnen enthoben, nicht aber meiner tiefsitzenden Ratlosigkeit.
     Beim Donner, dachte ich, wie viele Dinge überläßt man dem Zufall, wenn man sich mit vollen Segeln in den Hafen der Ehe stürzt!
     Und anders als sich blindlings hineinstürzen kann man nicht, weil man das geliebte Wesen erst im täglichen Miteinander kennenlernt.

[ Menü ]
    |39| ZWEITES KAPITEL
    Aus dem Vorangehenden soll man nicht folgern, daß ich auch nur noch einen Augenblick bei so melancholischen Gedanken zu verweilen
     gedenke. Als wir Brézolles erreichten, war die Sonne fast hinterm westlichen Rand des Ozeans verschwunden. Im Dämmerlicht
     durchschritten wir das blaue Gittertor des Schlosses und begaben uns als erstes zum Pferdestall, unsere armen, von Regen und
     Wind geplagten Tiere meinen Schweizern zu übergeben, damit sie abgerieben, gestriegelt, gefüttert und schön mit einer Wolldecke
     für die Nacht bedeckt würden, denn die kann in dieser Gegend ziemlich kalt sein.
    Beim Verlassen der Ställe trafen wir auf Monsieur de Vignevieille, den altersschwachen Haushofmeister. Madame de Brézolles,
     sagte er, erwarte mich in einer halben Stunde zum Souper, er selbst habe die Ehre, sein Mahl mit Monsieur de Clérac einzunehmen.
     Mein armer Nicolas dankte ihm tausendmal, so betrübt er auch war, daß er wieder nicht mit am Tisch der Marquise sitzen und
     sie heimlich mit den Augen verschlingen durfte.
    Was an diesem Abend zwischen Madame de Brézolles und mir gesprochen wurde und geschah, war so verblüffend, daß ich es mich
     kaum zu erzählen getraue, aus Furcht nämlich, daß du, Leser, dann meine Wahrheitstreue bezweifeln wirst. Dabei ist sie hierin
     so ehern wie in allem übrigen, was ich gern bei meinem Glauben schwören würde, wenn der Kardinal mich nicht ermahnt hätte,
     nie das Heilige mit dem Menschlichen zu vermischen.
    Aus Furcht, die Szene könnte dir nicht nur unglaubhaft erscheinen, sondern sogar ein bißchen unschicklich, könnte ich sie
     natürlich weglassen. Aber, noch einmal, was an diesem Abend gesagt und getan wurde, war für den weiteren Verlauf meines Lebens
     so folgenreich, daß es gegen jede Logik und Redlichkeit verstieße, die Sache mit Schweigen zu übergehen.
    Monsieur de Vignevieille also hatte gesagt, daß Madame de Brézolles mich in einer halben Stunde erwarte, und als ich |40| mein Zimmer betrat, traf ich zu meiner Überraschung einen äußerst properen und höflichen Diener an, der meine Kleider aufgeräumt,
     mein zweites Paar Stiefel gewichst und mein Bett gemacht hatte. Er heiße Luc, sagte er, und sei von Madame de Brézolles zu
     meiner Bedienung bestellt worden.
    Ich konnte nur staunen, denn in großen Häusern, die wie Brézolles über zahlreiches Gesinde verfügten, betraute man mit solchen
     Aufgaben eine Kammerjungfer und nicht einen Diener. Daraus schloß ich, daß Madame de Brézolles nach den Geständnissen, die
     sie mir bezüglich der kleinen Personen entlockt hatte, die es in meinem Leben gab, gesonnen war, mich wenigstens in ihrem
     Hause nicht in Versuchung zu führen … Ob wahr oder falsch, diese Vermutung ergötzte mich jedenfalls, und ich amüsierte mich
     im stillen darüber.
    So

Weitere Kostenlose Bücher