Kardinal vor La Rochelle
Händen.«
»Herr Graf, wenn ich Euch recht verstehe, fühlt Ihr Euch ein bißchen tantalisiert.«
»Ein bißchen, zugegeben. Der König verspricht mir ›Fol genreiches ‹, sagt aber nicht wann noch was. Wie viele Wochen, Monate, Jahre womöglich, soll ich auf die Frucht hoffen, die in Reichweite
meiner Hände schaukelt?«
»Und der König tantalisiert auch diejenigen, die er strafen will?«
»Da ist es noch ärger. Hier ein Beispiel: Die Brüder Vendôme, der Herzog und der Großprior, hatten, zum Glück erfolglos, die
Ermordung Richelieus angezettelt. Der König lud sie sehr liebenswürdig ein nach Schloß Blois. Sie kommen, die Leichtfüße!
Ludwig empfängt sie ganz freundlich, gibt ihnen ein sehr schönes Gemach, läßt sie ausgiebig mit ihren Freunden am Hof feiern.
Eines Nachts, als sie in glücklichen Träumen liegen, klopft es an ihrer Tür. Sie öffnen. Du Hallier tritt mit fünf Gardisten,
die Piken gesenkt, herein: ›Im Namen des Königs‹, sagt Du Hallier, ›Ihr seid verhaftet.‹«
»Herr Graf«, sagte Nicolas betreten, »auch wenn ich es kaum zu fragen wage: Steckt in solchem Hinauszögern nicht ein Gran
Bosheit?«
|36| »So sieht es aus, ja. Genaugenommen, sind es aber die Racheträume einer unglücklichen Kindheit.«
»Hatte Ludwig denn eine solche Kindheit? Ein Königssohn?«
»Allerdings, Nicolas. Er war überaus unglücklich in den Jahren von 1610, als sein Vater ermordet wurde, bis 1617. Seine Mutter
liebte ihn nicht, er wurde von ihr verspottet, herabgesetzt, gedemütigt, sie verwehrte ihm jede Teilhabe an der Macht. Ja,
ja, so war es! Die Regentin wollte allein regieren, gestützt auf den elenden Concini … Bis zu dem Tag, als Ludwig, noch keine
siebzehn Jahre alt, Concini ermorden ließ und seine Mutter verbannte. Du hast richtig gehört, Nicolas. Er erhielt die Macht
nicht, er mußte sie Maria von Medici entreißen. Deshalb ist er heute so eifersüchtig und empfindlich, wo es um besagte Macht
geht. Und deshalb kerkert er jeden ein, der sie ihm zu nehmen versucht. Aber vorher ergötzt er sich, ungewollt seiner Vergangenheit
gehorchend, an kindischen kleinen Racheübungen, wie er sie sich einst gegen seine Mutter und Concini austräumte.«
In dem Moment wurde Nicolas durch das Wagengedränge auf der Landstraße genötigt, hinter mir zu reiten, und unsere Unterhaltung
brach ab. Erst hinter Aytré, auf dem Weg, der am Meer entlang nach Saint-Jean-des-Sables führte, konnte Nicolas an meine Seite
zurückkehren.
»Herr Graf«, sagte er nach langem Schweigen, »darf ich sagen, daß ich Euch großen Dank weiß für Eure Mühe, mich zu unterrichten?
In der kurzen Zeit mit Euch habe ich mehr gelernt als in meinen ganzen Studienjahren in Clermont 1 . Ihr behandelt mich, als wäre ich Euer Sohn.«
Wer weiß, was ich darauf antwortete. Vielleicht, indem ich scherzte, wie tief betrübt die Jesuiten wären, wenn sie wüßten,
daß ein ehemaliger Schüler ihre Lehren dermaßen geringachtete.
Aber natürlich rührten mich diese Worte sehr, ebenso die naive und aufrichtige Zuneigung, die aus ihnen sprach. Meinen Gedanken
nachhängend, ließ ich die Zügel auf dem Hals meiner Stute ruhen, und das schlaue, von dem langen Tagesritt müde Tier fiel
von sich aus in Schritt. Was mich bewegte, war |37| die Ehe, in deren Gehege mein Vater und meine liebe Patin 1 , die Herzogin von Guise, mich einsperren wollten. Mein Vater, weil er wünschte, daß der Graf von Orbieu seine Nachkommenschaft
sichere, meine Patin, weil sie ohnehin nichts als Ehe und Kinder im Kopf hatte, auch wenn erstere ihr selbst nur Kränkung
und Verdruß eingebracht hatte und die zweiten sie ständig in unsägliche Nöte und Ängste stürzten.
Wie Madame de Brézolles mir entgegengehalten hatte, gab es durchaus gute, auf unwandelbare Liebe gegründete Ehen, so wie die
Herrn von Schombergs und seiner Frau. Aber immer waren es nur die Schombergs, die man hierfür am Hof zu zitieren wußte. Und
Ludwig. Mit der Einschränkung freilich, daß Ludwigs eheliche Treue mehr Pflicht war als Liebe.
Was mich betraf, so war ich von früh auf von Blume zu Blume geflattert und hatte mir dabei so eingefleischte Gewohnheiten
und so angenehme Ketten zugelegt, daß ich mir nicht vorstellen konnte, ich würde jemals den Mut oder auch nur die Lust haben,
sie eines Tages abzuwerfen. Trotzdem, seine Nachkommenschaft zu sichern, ist nun einmal die erste Pflicht eines Edelmannes.
Wer wollte das bestreiten?
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