Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
für die gewaltgeprägte Gesellschaft. Akribisch wurden die Strafen aufgeführt, gestaffelt nach sozialer Stellung und gesellschaftlichem Nutzen. So waren für einen freien Mann 200 Solidi zu zahlen, für einen getöteten Römer die Hälfte. Ein Sklave kostete gar nur 20 Solidi – was immer noch eine durchaus fühlbare Strafe war: Ein Solidus muss etwa dem Wert einer gesunden Kuh entsprochen haben, drei jenem eines Langschwerts und sechs Solidi dem eines abgerichteten Habichts. Besonders teuer war es, einen königlichen Gefolgsmann oder eine Frau im gebärfähigen Alter umzubringen: 600 Solidi standen dafür im Wergeldkatalog.
Darstellung von Chlodwigs Taufe
in einer Elfenbeinschnitzerei um 850
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Entscheidend aber waren die Regeln für das Erbrecht, die gleichberechtigte Berücksichtigung aller Söhne. Ein Umstand, der »für die nächsten Jahrhunderte verheerende Folgen in Gestalt der immer wieder aufflammenden Bürgerkriege zwischen Brüdern, Onkeln und Neffen« hatte, so Historikerin Hartmann. Das zeigt sich etwa am Schicksal der drei minderjährigen Enkel Chrodechildes. Als ihr zweitältester Sohn Chlodomer im Kampf fiel, machten sich zwei seiner Brüder daran, das Erbe zu verteilen. Zwei der drei minderjährigen rechtmäßigen Erben brachten sie kurzerhand um. Nur der dritte Junge kam mit dem Leben davon, wie Gregor beschreibt: »Dieser verzichtete auf das irdische Reich und wandte sich dem Herrn zu, schnitt sich mit eigner Hand die Locken ab und wurde Geistlicher.«
Nicht immer erlitten kindliche Thronfolger ein derart böses Schicksal; oft waren sie aber Spielbälle rivalisierender Gruppen, die sich um Einfluss und Pfründen balgten.
Besonders und zunehmend erfolgreicher taten sich dabei die Hausmeier hervor. Sie gehörten zum inneren Zirkel des Hofstaats wie auch der Marschall, der für die Unterbringung und Versorgung der Pferde zuständig war. Oder der Schenk, der für das leibliche Wohl zu sorgen hatte, und der Kämmerer, verantwortlich für die Finanzen. Der Hausmeier (Majordomus) aber war am wichtigsten: Er stand der Hofverwaltung vor, und ihm oblag es, den Zugang zum Herrscher zu regeln. Ein mächtiges Amt, das zunächst der König selbst vergab. Immer allerdings, wenn infolge von Tod oder Krankheit ein Kind den Thron bestieg, stand der Hausmeier der Königsmutter bei – und mehrte seine Macht. Bald schon hatte der König bei der Besetzung dieser wichtigen Funktion nichts mehr zu sagen. Den Hausmeier wählten die Adligen, später wurde das Amt vererbt. Hier taten sich vor allem die Pippiniden hervor, die Vorfahren der Karolinger-Dynastie. Einer von ihnen war es auch, der 751 schließlich selbst die Königskrone erlangte.
Bereits vorher, in den letzten sechs Jahrzehnten ihrer Herrschaft, hatten die Merowinger-Könige nur noch repräsentative Aufgaben. Der Chronist Einhard zeichnet davon in seiner Biografie Karls des Großen ein plastisches Bild: »Dem König blieb nichts anderes übrig, als sich mit seinem Titel zu begnügen und mit wallendem Kopfhaar und ungeschnittenem Bart auf dem Thron zu sitzen und den Herrscher zu spielen. Er durfte die Gesandten anhören, die von überall her kamen, und sie dann mit Worten entlassen, die seine eigenen zu sein schienen, die man ihm aber in Wirklichkeit vorgeschrieben und oft sogar aufgezwungen hatte.« Historie wurde nun von den wirklich Mächtigen geschrieben, den Pippiniden und Karolingern also. Ihnen war daran gelegen, die Vorgänger-Dynastie möglichst klein und lächerlich erscheinen zu lassen, um sich selbst zu erheben.
Einhard war ein Meister der lästerlichen Rede über den verlorenen Glanz einstiger Merowinger-Herrschaft: »Der König besaß fast nichts, das er sein Eigen hätte nennen können, außer dem wertlosen Königstitel und einem unsicheren Lebensunterhalt, den ihm der Hausmeier gewährt. Wenn er eine weitere Reise machen musste, wurde er von einem Knecht nach Bauernart in einem Wagen gefahren, den ein Ochsengespann zog. So fuhr er zum Palast, so auch zu den öffentlichen Volksversammlungen, die zweimal im Jahre zum Wohle des Reiches abgehalten wurden, und so pflegte er wieder nach Hause zurückzukehren. Der Hausmeier aber besorgte die gesamte Staatsverwaltung.«
So verschwanden die Merowinger nach und nach wieder im historischen Nebel, fast so, wie sie knapp 300 Jahre zuvor scheinbar aus dem Nichts getreten waren. Was blieb, war nicht wenig, wie der amerikanische Mediävist Geary resümiert: »Das fränkische Großreich
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