Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
ist nicht nur die dauerhafteste Staatsbildung aller germanischen Völkerschaften, es bildet auch die historische Keimzelle, aus der bedeutende europäische Reiche – Frankreich, Italien, Burgund und, auf langen Um- und Sonderwegen, Deutschland – hervorgegangen sind.«
Razzia in Gallien
Lange galt Karl Martells Sieg über die Sarazenen als Rettung Europas vor dem Islam. Aber die Schlacht bei Poitiers 732 markiert eher die fränkische Abwehr der kulturell überlegenen Muslime.
Von Helene Zuber
Sieben Tage lang hatten die Gegner einander belauert. Jede Seite hatte ein paar kleine Überfälle gewagt. Dann stellten sie ihre Schlachtlinien auf und kämpften: Der Frankenführer Karl, dessen sächsische, burgundische und langobardische Verbündete inzwischen eingetroffen waren, insgesamt an die 15 0 00 Mann, und Abd al-Rahman, damals Statthalter des arabischen Kalifen in Spanien, mit 20 0 00 Kämpfern. Sie fochten gegeneinander bis zum Abend. Es war wohl ein Samstag im Oktober 732 .
Die Nordländer »bleiben unbeweglich stehen wie eine Mauer, sie halten zusammen wie ein Gletscher in den Gegenden eisiger Erstarrung, und in einem Augenblick töten sie die Araber mit dem Schwert«. Gut zwanzig Jahre nach den Ereignissen wusste das der anonyme Schreiber zu berichten, der die Gotengeschichte des Isidor von Sevilla (um 560 bis 636 ) fortsetzte. Die »wunderbar bewaffneten« Anhänger Karls töten den »König« ihrer Feinde. Am nächsten Morgen erwarten die »Europäer«, wie der anonyme Chronist erstmals die Franken nennt, einen erneuten Angriff aus den Lagern der Araber. Doch die Zelte sind leer, die »Sarazenen« – einige Forscher leiten das Wort aus dem Arabischen für »Plünderer« her – waren heimlich geflohen. Ohne sie zu verfolgen, ziehen die Verbündeten mit reicher Beute in ihre Heimatländer ab. Dieser kriegerische Ruhm sollte Karl, der damals als Hausmeier des merowingischen Königs de facto bereits die Macht über das Frankenreich hatte, etwa hundert Jahre später den Beinamen »Martell«, Hammer, einbringen.
Der genaue Ort, an dem die Schlacht stattfand, ist so wenig bekannt wie das exakte Datum. Die meisten zeitgenössischen Quellen lassen immerhin vermuten, dass die Araber entlang der alten Römerstraße zwischen Poitiers und Tours herangezogen waren und wohl in der Nähe des Dorfs Moussais auf ihre Gegner trafen. Die fränkischen Annalen des 8 . Jahrhunderts scheinen also den Sieg Karls nicht so wichtig genommen zu haben. Anders der spanische Schreiber, der 754 – möglicherweise angeregt durch Berichte von heimgekehrten Augenzeugen – die Schlacht bei Poitiers am ausführlichsten und farbigsten schildert. Indem er den Begriff Europäer prägt, »verlieh der Chronist dem Kampf zwischen Franken, Arabern und Berbern einen besonderen Stellenwert und eine veränderte Größenordnung«, schreibt der Historiker Andreas Fischer von der Freien Universität Berlin, der im vergangenen Jahr eine Monografie über Karl Martell veröffentlichte.
Dass die Schlacht bei Poitiers zu den großen symbolischen Ereignissen der europäischen Geschichte zählt, darüber sind sich die Historiker einig. Aber über ihre wahre Bedeutung, über die Auswirkungen dieses ersten Sieges von Karl Martell über die Araber, gehen die Meinungen weit auseinander. Denn erst im Nachhinein, im Wissen der Nachwelt um den Fortgang der Geschichte und im Lichte der Kreuzzüge des Hochmittelalters, wurde sie zur entscheidenden Abwehrschlacht gegen die arabische Expansion stilisiert.
Erst die späteren Gegensätze machten es möglich, Karl als Retter des christlichen Abendlandes vor islamischer Herrschaft zu bejubeln. Der Brite Edward Gibbon phantasierte 1788 , ohne den Franken-Hammer wären möglicherweise die Sarazenen »bis zur Grenze Polens und in die schottischen Highlands« vorgedrungen, »die arabische Flotte wäre kampflos in die Themse gesegelt« und in Oxford »würde die Auslegung des Koran gelehrt«. Noch Jacob Burckhardt sprach um 1880 von Karl Martell als »großem Stifter einer neuen abendländischen Christenheit«, der verhinderte, dass »die Fahne des Propheten vielleicht Jahrhunderte von den Türmen Frankreichs geweht« hätte. Dagegen steht die in der jüngeren Forschung vertretene Meinung, bei der Schlacht von Poitiers habe der Hausmeier der Franken nur einen von vielen Streifzügen der Araber abgewehrt. Die Bedrohung sei schon am Abflauen gewesen.
Fest steht: Seit dem Tod des Propheten Mohammed 632 hatten die Araber
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