Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
viele kirchliche Ämter ‹weggeschnappt› hatten. «Doch Karl ließ es sich in seiner Großherzigkeit nicht verdrießen, da der Nachteil durch das Lob der Freigebigkeit und einen guten Ruf wettgemacht wurde» (c. 21). Einhards Bemerkung verrät wenn schon keine Feindseligkeit, so doch eine abwehrende Haltung gegen ‹Überfremdung› der Hofgesellschaft und des Königsdienstes. Unter Ludwig dem Frommen begann sich diese Abwehrhaltung tatsächlich auszuwirken. Sie schwächte die Dynamik der kulturellen Entwicklung.
Die Berichte aus fremden Ländern im Umfeld des Frankenreiches, die – soweit für uns nachprüfbar – im Frankenreich kursierten, boten wenig Information über diese. Nur vereinzelt fanden sich zeitgenössische Reiseberichte aus unterschiedlichen Zeiten mit mageren, bestenfalls splitterhaften Beschreibungen. Immerhin berichteteWillibald, der spätere Bischof von Eichstätt, vielleicht 50 Jahre nach dem Geschehen der Nonne Hugeburc von seiner Pilgerreise nach Jerusalem. Er hatte sie um 720 angetreten. Die Nonne beschrieb seine Fahrt von Ort zu Ort, notierte die Schwierigkeiten bei der Einreise ins «Sarazenen»-Land, streifte knapp die Rückreise, die Willibald um Kalabrien herum nach Catania und Reggio führte und sogar einen Besuch des Stromboli gestattet haben soll. Dort habe er einen neugierigen Blick in die Abgründe der Hölle werfen wollen, doch Ascheregen hätte es verhindert. In Montecassino endete die Pilgerreise dann[ 10 ].
Indes, solange der Angelsachse auch in Ländern unter dem Halbmond, unter «Sarazenen», reiste und verweilte, von deren Religion findet sich nichts beachtet und nichts referiert. Jede Kirche wurde erwähnt, doch über Muslime und Juden eilte die Feder hinweg. Immerhin erinnerte sich Willibald an den (wie so oft mit dem Namen verwechselten) Titel des
Myrmumni
, des «Emirs al Mummenin», des «Herrschers der Gläubigen». Genau beschrieb Willibald lediglich das Heilige Grab[ 11 ]. Was mündlich berichtet wurde, läßt sich nicht mehr erkunden. Mit welcher Art Information Karls Gesandte später nach Konstantinopel, Jerusalem oder Bagdad zogen oder von dort zurückkehrten, ist unbekannt. Ungewöhnliche Geschenke weckten noch die größte Aufmerksamkeit; das Wissen über die fremde Welt versteckte sich dahinter.
Aus der Antike floß der Karlszeit freilich mancherlei geographische Kenntnis zu. Walahfrid Strabo etwa, der seine weite Bildung allerdings erst nach Karls des Großen Tod grundgelegt und unter Hrabanus Maurus in Fulda vertieft haben konnte, verwies auf die «Historien» des Orosius (I,2,60), um die Lage Alemanniens oder Schwabens in das geographische Weltbild einzuordnen. Auch den «
Polyhistor
» des Solinus (21,2) kannte und zitierte er aus dem nämlichen Grund. Alpen, Bodensee, Rhein, Aare, Donau, Drau und Save, die Provinzen Noricum, Rätien, Pannonien, die Stadt Bregenz, die nähere Umwelt seines Klosters also, standen ihm mit ihrer Lage klar vor Augen. Irland, Britannien und Spanien wußte er nur verschwommen zu verorten. Doch korrigierte der gelehrte Reichenauer Mönch mit seinem angelesenen Wissen die unzutreffendeMeinung «vieler», rechnete also mit einem mangelhaften geographischen Wissen seiner Zeitgenossen[ 12 ]. Wenigstens die Kenntnis des Orosius dürfen wir auch für den Hof Karls des Großen erwarten.
Eigene ethnographische und geographische Abhandlungen verfertigten dessen Zeitgenossen kaum. Wohl um die Mitte des 8. Jahrhunderts entstand eine merkwürdige, schwer zu deutende, vielleicht satirisch gemeinte kosmologische Schrift, die «Kosmographie» eines fiktiven Aethicus. Der anonyme Autor muß «eine mit ungewöhnlicher Phantasie begabte Persönlichkeit gewesen sein»[ 13 ]. Das Werk wurde angeblich von dem Kirchenvater Hieronymus aus dem Griechischen übersetzt und redigiert; es stellt eine bunte Mischung aus angelesenem Wissen, vielleicht aus Byzanz herzu geflossenen Informationen dar, aus Mythen (
Romulus
führte Krieg gegen
Francus
), Phantasie und Fiktionen, «eine raffiniert aufgebaute Erdbeschreibung, die schon vom Stoff her für die Erdichtung großen Spielraum gewährte». Selbst vergleichsweise nah gelegene Regionen wurden mit erfundenen Orten und Ereignissen garniert. Eigene Erfahrung lag dem Konstrukt kaum zugrunde. Zur Orientierung in der realen Welt eignete es sich nicht, als geistiges Herrschaftsinstrument noch weniger. Eher verrät es, in welcher Mischung aus tradiertem Wissen, Phantasie und Imagination damals der
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