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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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einmal, wenn Gefahren von außen drohten, wie etwa mit den feindlichen Normanneneinfällen, verstand man den Gegner in seiner sozialen Andersartigkeit wahrzunehmen oder zu erkunden, auch wenn in den Grenzregionen das Wissen über die Nachbarn genauer und detailreicher gewesen sein dürfte[ 21 ]. Die Welt jenseits der Grenzen wurde oft genug mit Argwohn betrachtet, den die wenigen Informationen schwerlich zu zerstreuen vermochten. Entsprechend dürftig nehmen sich die Hinweise über die Fremden in den zeitgenössischen Zeugnissen aus, soweit sie heute noch erhalten sind.
    Fremde Menschen, Sprachen, Lebensgewohnheiten blieben aus den erhaltenen Berichten nahezu vollständig ausgeklammert. Kein Franke schärfte die Feder, um Konstantinopel, gar die fremdartigen, unverständlichen Lebensformen in Byzanz zu beschreiben,obgleich dort, an Bosporus und Goldenem Horn, der eine oder andere von ihnen geweilt hatte. Mißverständnisse erschwerten die Kommunikation. Regelmäßig wurden Klagen über miserable Unterkunft und arrogante Behandlung erhoben.
    Selbst als die Langobarden der Herrschaft des Frankenkönigs unterworfen waren, notierte kein Franke vergleichend die Eigentümlichkeiten des eigenen und des besiegten Volkes, seine Herrschaftsverhältnisse wie etwa die Leistungskraft der langobardischen Finanzverwaltung, seine Sozialordnung, seine Lebensweisen, geschweige denn irgendwelcher Völker ringsum. Paulus Diaconus dürfte einiges aus der Geschichte seines Volkes und seiner Familie am fränkischen Hof zum besten gegeben haben; doch niemand hielt es des Aufzeichnens wert. Seine Langobardengeschichte aber lag noch nicht vor. Interkulturelle Lernprozesse liefen entsprechend langsam an.
    Ein Vergleich setzte vor allem systematisches Fragen voraus, logische Konzepte wie «Gattung» und «Art», «das Eigene» oder «das Fremde», ihre «Eigentümlichkeit» (
proprium
) und ihre «Differenz» oder ihr jeweils «zufälliges Beiwerk» (
accidentia
). Doch eben erst, mit den Impulsen vom Hof Karls des Großen, fingen die Franken an, ein an derartigen Größen geschultes Denken, Wahrnehmen und Prüfen einzuüben. Es sollte bis zum hohen Mittelalter dauern, bis es allgemein vertraut war und sich in der Praxis bewährte. Nur allmählich weitete sich der Horizont der Gelehrten. Immerhin, an Karls Hof war ein Anfang gemacht. Das Wissen über das Fremde verdichtete sich, die Vorstellungen, die man sich davon machte, wurden klarer, die Informationen sachdienlicher. Karl wußte auch das Wenige zu nutzen.
    Je weiter entfernt, desto spröder wurden freilich die Nachrichten zu fremden Ländern und Völkern. Die Wege in den Vorderen Orient waren durch Pilger – oft genug als Spione verdächtigt – und wiederholte Gesandtschaften, vielleicht auch durch vereinzelte Handelskontakte bekannt. Fränkische Fernkaufleute nach Spanien, Afrika oder Konstantinopel sind nicht bezeugt. Allein die italienischen Seestädte mit dem zu Ostrom gehörenden Venedig oder Neapel an der Spitze knüpften nun weiträumige Handelsnetze.Doch die Kaufleute schrieben ihre Erfahrungen nicht nieder; wir kennen sie nicht. Karl aber konnte sie gelegentlich zu Rate ziehen.
    In Rom, das bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts und ein paar Jahre länger zum oströmischen Imperium gehörte, unterhielt man gewisse Beziehungen nach Konstantinopel, auch nach Jerusalem und seinen Klöstern. Der Papst Zacharias, der den Karolingern den so günstigen Bescheid über die Königswürde erteilt haben soll, war der letzte Grieche auf dem Thron St. Peters. Er kam aus Kalabrien. Aber an keiner Stelle des offiziösen Papstbuches, des «Liber Pontificalis», wurden byzantinische Verhältnisse oder die Lebenswelten in Konstantinopel, Sizilien oder dem Süden der Halbinsel festgehalten. Karl suchte den Handel mit Westslawen auf wenige Grenzstationen zu beschränken; es gab ihn also. Doch über die Slawen erfahren wir aus den karlszeitlichen Zeugnissen so gut wie nichts.
    Der noch immer ausgedehnte byzantinische Handel mochte über die Seidenstraße China erreichen, nach dem Westen indessen kam er zum Erliegen. Die wohl letzte Spur von ihm findet sich zum Jahr 776 in einem Schreiben des Papstes Hadrian an Karl, wonach griechische Sklavenhändler an der Küste Latiums aufgetaucht seien, die von Langobarden unfreie Leute, Manzipien, erworben hätten, um sie an «das unsägliche Volk der Sarazenen» zu verkaufen; ihre Schiffe habe er, Hadrian, nachdem sie Civitavecchia anliefen, in Brand stecken, die

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