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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Alexandria nach der «Metropole des römischen Reiches» führte über Kreta (III,1); von Konstantinopel bis zur Donaumündung seien es die Küste entlang 40 Meilen (III,1).
    Das Zeremoniell der Kreuzverehrung in Konstantinopel stach dem frommen Mann in die Augen. Eine solche aufwendige Inszenierung, wie sie dort ablief, war im Westen unbekannt und erschien eher skurril. An drei Tagen nämlich werde die Kreuzreliquie auf dem Altar präsentiert, am Tag des Abendmahls, also am Gründonnerstag, bei welcher Gelegenheit erst der Basileus, dann streng nach Würde alle Hofchargen das Kreuz küßten, dann am Karfreitag, an dem die «Königin» und ihre Damen die Reliquie küssend verehrten, endlich am Samstag vor Ostern, wenn der Bischof und der gesamte Klerus das «Siegesholz» küßten und wieder in seinemReliquiar bargen (III,3.5–10). Auch hörte Arculf Erzählungen von einem Bild des hl. Georg und einem der Gottesmutter, und wie aus dem Marienbild (
imaginis tabula
) wunderbarer Weise stets Öl herabtropfte. (III, 4–5). So war hier ein bunter Strauß von Einzelinformationen ohne innere Systematik zusammengetragen und über das ganze Büchlein verstreut. Anders werden auch die Informationen nicht gewesen sein, die an Pippins Hof kursierten und die der junge Karl zur Kenntnis nehmen konnte.
    Das am späten Karlshof verfügbare geographische Wissen dürfte der unter Ludwig dem Frommen literarisch aktive Ire Dicuil bezeugen. Er griff für seinen «
Liber de mensura orbis terrae
» auf antike Autoren zurück, die damals wenigstens teilweise am Hof Karls des Großen verfügbar waren wie etwa die «
Mensuratio orbis
». Sie hatte im Jahr 435 der Kaiser Theodosius II. in Auftrag gegeben; unter Karl befand sich ein Exemplar in der Hofbibliothek. Dicuil zitierte auch Plinius d. Ä., Solinus, Orosius, Isidor von Sevilla und andere[ 19 ]; selbst zeitgenössische Reiseberichte wußte er in die schmale Schrift einzuarbeiten. Europa, Asien und Afrika («Lybien») wurden Provinz für Provinz in ihren Ausdehnungen abgehandelt, dann die Flüsse, die wichtigsten Inseln, das Tyrrhenische Meer und die großen Gebirge.
    Dicuil scheute sich dabei nicht, seine Vorlagen zu korrigieren oder in ihrer Zuverlässigkeit anzuzweifeln: «Sie irren», notierte er selbstbewußt (7,13). Nach Norden weitete sich der Blick erstmals bis nach Island, im Osten reichte er über Arabien, Persien mit Ganges und Indus bis nach Indien, im Süden – vom Niltal abgesehen – nicht über die Küstenprovinzen hinaus. Bei Nil und Ägypten, dem Land des Moses, verweilte der Autor besonders lange, beschrieb die Überschwemmungen, das Flußdelta, die großen mosaischen «Lagerhäuser» (d.h. die Pyramiden) und manches andere, erfuhr davon, was keiner antiken Vorlage entsprach, daß ein Pilger (über einen Kanal) zu Schiff vom Nil zum Roten Meer gelangt sei. Für Indien erwähnte er Nashorn und Elefanten, in Afrika die Hyänen. Hinsichtlich der Fabelvölker, von denen Solinus sprach, hegte er Zweifel. Damit war wenig anzufangen.
    Im Norden Britanniens nannte Dicuil nicht ohne Wissensstolzdie vielen größeren und kleineren Inseln: «auf einigen wohnte ich, einige besuchte ich, einige sah ich nur, von einigen las ich» (7,6), Inseln, die kein antiker Autor kannte, die ursprünglich menschenleer gewesen, doch von Normannen mit Vieh und Schafen besiedelt worden seien (7,15).
Thile ultima
, Island, am Wendekreis des Krebses gelegen, hatte er vielleicht selbst besucht und konnte – erstmals – das Phänomen der Mitternachtssonne beschreiben, «die sich gleichsam hinter einem kleinen Hügel verberge», aber keine Finsternis bewirke, so daß «der Mensch vielmehr tun kann, was er will», sogar eine Laus von seinem Hemd ablesen (7,8–13). Bei aller Unvollkommenheit, der kritische Sinn gegenüber den antiken Autoritäten in Verbindung mit eigenen oder glaubwürdigen fremden Erfahrungen offenbarte das Erkenntnisinteresse Karls des Großen, einen Willen zu globaler Orientierung und realistischer Erdbeschreibung, wie er dessen Handeln bestimmte, vor allem aber: ein wachsendes Wissen, das handlungsleitend dem König zur Verfügung stand[ 20 ].
    Erfahrung, so selten sich auch Reisende aus dem Karlsreich auf den Weg machten, und Lektüre mußten einander ergänzen. Entsprechend langsam wuchs das Erfahrungswissen. Die Überlieferungen aus der Antike boten wenig Hilfe zur Orientierung in der Gegenwart, die Eindrücke der Pilger führten kaum über biblische Muster hinaus. Nicht

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