Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
geographische Raum und die Vorstellungen von der Erde konstruiert wurden.
Die ältesten Handschriften(fragmente) reichen noch vor das Jahr 800 zurück. Sie könnten, doch ist es umstritten, auf Salzburg als Entstehungsort des Werkes verweisen; auch Bobbio wird dafür in Anschlag gebracht. Der Autor fing gelehrt mit der Weltschöpfung an, beschrieb Erde, Meer und Himmel, ließ die Welt von dem fiktiven Aethicus bereisen und wandte sich endlich den in der Bibel nicht genannten Völkern zu, wobei sich abermals Mythisches und Wirkliches durchdrangen. Immerhin, er bot ein Weltbild vom spanischen Westen über das Land der Amazonen, Byzanz und Kaukasus bis nach Innerasien, vom skandinavischen Norden bis zur nordafrikanischen Wüstenzone im Süden; kein Fleckchen Erde blieb in diesem Bild unausgefüllt und leer. Doch selbst dieser erfindungsfreudigeAutor, dem durchaus die Kugelgestalt der Erde vorschwebte, ließ seine Phantasie nicht über den beschriebenen Westen, Osten oder Süden hinaus schweifen. Da gab es nichts, nichts, was zu erwähnen verlohnte.
Nähe zu den bereisten Ländern und den Wahrnehmungsweisen der Zeit kann auch einem wohl schon in König Pippins Zeit im Frankenreich verfügbaren Werk attestiert werden: Adamnans Bericht über Arculfs, wohl eines Franken, Pilgerreise nach Jerusalem. ‹Politische› Informationen bot er nicht. Der Bischof hatte die Fahrt um 670/680, mithin ein halbes Jahrhundert nach der Eroberung der heiligen Stadt durch die Araber, unternommen[ 14 ]. Der Autor Adamnan (er starb 704) war zuletzt Abt von Iona, Columbans d. Ä. Gründung auf der kleinen Insel vor Schottland; einer der Iren oder Angelsachsen könnte eine Handschrift mit ins Frankenreich gebracht haben, wenn der Text nicht überhaupt dort entstanden war. Jedenfalls gehören die ältesten Handschriften vielleicht noch vor die Mitte des 9. Jahrhunderts oder bald hernach und gehen über wenige Zwischenstufen auf das Original zurück[ 15 ]. Zudem hatte Beda Venerabilis das Itinerar bearbeitet; diese Version könnte bei der Hochschätzung des Verehrungswürdigen durch Alkuin an Karls Hof bekannt gewesen sein[ 16 ].
Arculf lieferte eine knappe Beschreibung seiner Reise durch byzantinisches und arabisches Gebiet und handelte ausführlich im Stil eines Reiseführers von den heiligen Stätten in Jerusalem. Für die Orte des Heiligen Landes stützte sich der irische Autor wiederholt auf des Eusebios «
Onomasticon
» in der Übersetzung des hl. Hieronymus[ 17 ], das er stilistisch nachzuahmen versuchte; auch andere antike Quellen wurden herangezogen. Das Werk ist somit eine Mischung aus Bericht und Literaturkenntnis. Immerhin, es vermittelte, als man es im Frankenreich zu lesen bekam, ein gewisses zeitnahes Wissen über den Vorderen Orient. Aber dasselbe war nun buchgelehrtes Wissen, das nur eingeschränkt zur Orientierung in der Wirklichkeit taugte.
Zumeist wurden ohnehin nur Bauwerke, zumal christliche Kirchen und die Grabbauten verehrungswürdiger Heiliger beschrieben, auch in Konstantinopel nur die «große runde Kirche», mithindie Hagia Sophia, doch kein einziger Palast, wohl aber – wie in Jerusalem mit dem Davidstor – die Stadtmauer. Gelegentlich wurde, so in dem bestens befestigten Damaskus, auf eine «Sarazenenkirche», doch wohl eine Moschee, verwiesen (II,28). Auf dem Tempelberg in Jerusalem sah Arculf den Vorgängerbau der al-Aqsa-Moschee, schon er – «wie man behaupte» – für 3000 Gläubige bestimmt (I,1,14); betreten hat er ihn nicht. Das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen wurde bestenfalls flüchtig gestreift.
Einige Beobachtungen ragten heraus. Der Pilger rümpfte die Nase ob der Menge an Dung, den Kamele, Pferde, Esel und Ochsen hinterließen, das Vieh eben der unzähligen Leute, die am 12. September zum Jahrmarkt nach Jerusalem strömten (I,1,7). Das Grab Mariens, der Mutter des Herrn, im Tal Josaphat fand Arculf leer (II,12,2–3): «Wie, wann und von welchen Leuten ihr heiliger Leib entfernt wurde und wo er der Auferstehung harrt, weiß niemand». Die Himmelfahrt der Gottesmutter war – anders als dann für den Angelsachsen Willibald[ 18 ] – noch nicht verkündet. Entfernungen gab Arculf, wie jedem Franken vertraut, in Tagesreisen an: Vom Berg Tabor nach Damaskus, der Residenz des «Königs der Sarazenen», sieben Tage (II,29), von Jerusalem über Jaffa und mit dem Schiff nach Alexandria 40 Tage (II,30). Zur Hinreise nach dem Heiligen Land verlautete nichts; die Fahrt zurück von
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