Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
So wurde das Fremde in seinem Anderssein kaum verstanden.
Beide Könige schlossen Verträge mit fremden Mächten. Sie galten als «Freundschaft» (
amicitia
), waren für die Franken beschworene, rechtsförmliche wechselseitige Bindungen der Partner[ 25 ].Freundschaft aber war nicht gleich Freundschaft; hier und da bedeutete sie anderes. Sie taugte nur bedingt für das Vertragswesen zwischen den fremden Reichen und Völkern mit je unterschiedlichen Traditionen, Rechten und Religionen. Selbst unter den Franken stiftete sie keine Dauer. Fremdes Vertragsverhalten war mit ihr nicht gebändigt. Schon die Sicherung eines Vertrages divergierte. Nur unter Christen war der Eid auf Reliquien oder die heiligen Schriften üblich.
Wenige Jahre nach seiner Königserhebung tauschte Pippin Gesandtschaften mit dem Basileus in Konstantinopel, von wo tatsächlich die Initiative ausging. Anlaß boten die beiden Kriegszüge des Franken nach Italien in den Jahren 755 und 756 und das Vorgehen des Karolingers dort und zugunsten der
res publica Romanorum
. Konstantinopel,
Ostrom
oder Byzanz, war damals im Innern vom beginnenden Bilderstreit erschüttert, von außen durch Araber und Bulgaren bedrängt. Weder den Angriff der Langobarden, noch den militärischen Einfall Pippins konnten die Rhomäer parieren. Ihre Streitkräfte waren im Osten gebunden. Es blieb ihnen, wie so oft, nur die Diplomatie.
Die Frankenkönige wußten um jenes Imperium, aber sie kannten es kaum. Die Herrschaft des Basileus setzte das alte römische Kaisertum fort. Die Millionenstadt Konstantinopel war seit Konstantin dem Großen und Justinian dessen Mitte. Die Selbstbezeichnung des Volkes als «Römer» (Rhomaioi) und ihres Reiches als «Romania» reflektierte den traditionsgespeisten Anspruch des Basileus, der Kaiser schlechthin zu sein, der einzige Kaiser der Römer, obgleich sein Titel sich mit dem ‹nackten› «Basileus» («König») begnügte. Der Westen hingegen verweigerte die Selbstbezeichnung und nannte gewöhnlich diese «Römer» despektierlich «Griechen».
Ostrom hatte zwar nach jahrhundertelangen Kämpfen die Perserkriege siegreich überstanden, sah sich aber seit derselben Zeit in verlustreiche Abwehrkämpfe gegen die Araber verstrickt. Bald trat die militärische Bedrohung durch die (Proto-)Bulgaren hinzu, die seit dem späteren 7. Jahrhundert die Nordgrenze des Reiches unsicher machten[ 26 ]. In manchen Jahren – wie etwa 759/60[ 27 ] – entbrannte der Zweifrontenkrieg gegen Araber und Bulgaren mit vollerWucht. Dieses Reitervolk blieb ebenso wie die Chasaren an der Nordküste des Schwarzen Meeres noch für Karl den Großen eine unbekannte ethnische Größe; erst unter seinen Enkeln trat es in das Gesichtsfeld der Franken.
Während Byzanz von außen vielseitige Bedrängnis spürte, sonnte sich der lateinische Westen in dem tatsächlich von den Rhomäern ausgehenden Schutz. Er machte seinen Aufstieg möglich. Den Franken indessen wurde wohl zu keiner Zeit bewußt, was sie den oft gescholtenen «Griechen» schuldeten. Auch die langen Küsten Italiens verloren erst mit der Zeit den Schutz der Dromonen, der schweren Kriegsschiffe der byzantinischen Flotte. Bei der Verteidigung Konstantinopels gelangte «griechisches Feuer» zum Einsatz, das sogar auf dem Meer brannte und seine Wirkung einer Magnesiumverbindung verdankte. Eine Neuorganisation der byzantinischen Provinzen, der «Themen», durch Konstantin V. zumal in Kleinasien, dann auch in Süditalien ließ die Abwehr auch zu Land effizienter werden. Sizilien stand unter einem «Strategos» und diente der Flotte als Operationsbasis.
Im Innern entfachte die Orthodoxie zwar keine dogmatischen Differenzen zum westlichen Christentum, zumal Rom selbst, die päpstliche Kirche, zur Zeit der frühen Karolinger stark vom Osten geprägt war; wohl aber unterschieden sich die Gewohnheiten in der Kultpraxis. So fastete die Ostkirche auch samstags und verwandte für die Kommunion gesäuertes Brot, während der Westen ungesäuertes Brot konsekrierte. Sichtbar oder zu schmecken, wie sie waren, weckten solche Unterschiede mit der Zeit gerade bei den Franken Irritation, Skepsis und Ablehnung bis hin zu unverhüllter Feindseligkeit. Einen bald dominierenden Streitpunkt bescherte der Umgang der Orthodoxen mit den Ikonen. In der Ostkirche, die mit ihren Ausläufern bis nach Rom reichte, genossen die Bilder Christi, der Gottesmutter oder der Heiligen hohe Verehrung. Doch eben jetzt rührte sich in Konstantinopel eine
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