Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
pflegten, und das kulturelle Wissen, das ihnen eine unter den Franken schmerzlich spürbare Überlegenheit verschaffte, weckten nicht zuletzt Neid. Erst aus später mündlicher und sachlich verzerrter Tradition findet sich der eine oder andere Reflex der karlischen Gesandtschaften.[ 37 ] Doch selbst oder gerade in der Kritik und Ablehnung tauschten die Kulturen einander aus.
Nicht von ungefähr erfahren wir aus den letzten RegierungsjahrenPippins, daß der Frankenkönig Gesandtschaften mit dem Kalifen in Bagdad wechselte[ 38 ]. Es geschah zum ersten Mal in der Geschichte der Franken und verdeutlicht das neue Ansehen, das ihr Königtum durch die Karolinger gewonnen hatte. Das
Kalifat
konnte eine einzigartige Erfolgsgeschichte vorweisen, einen unaufhaltsamen Aufstieg und eine beängstigende Machterweiterung. Der Prophet Mohammed hatte mit dem Islam erreicht, was in Arabien das dort nicht unbekannte Christentum nicht vermocht hatte, die zuvor uneinigen Araber zu einen. Sie waren ursprünglich Beduinen mit allerlei Kulten, die städtische Zentren wie die Handelsstadt Mekka oder Medina kannten; Judentum und Christentum waren gerade dort nicht fremd. Die soziale Organisation entsprach der einer zersplitterten Clangesellschaft. Der Koran und das Mohammed-Leben, die durch mündliche Traditionen ergänzt wurden, einten die bislang Uneinigen nicht nur religiös, sondern auch herrschaftlich. Regionale Unruhen und Gewalt aber blieben an der Tagesordnung; der Islam war von Anfang an eine kriegerische Religion.
Der lateinische Westen hat diese Entwicklung kaum mitbekommen; selbst im nachhinein forschte man nicht über die Formierung des neuen Gegners. Ostrom indessen war aus naheliegenden Gründen höchst wachsam. Man erzählte sich manche merkwürdige Geschichte. Sie tauchten mitunter das Auftreten der Wüstensöhne in apokalyptisches Licht. Juden etwa hätten Mohammed für den Messias gehalten und seine Religion angenommen. Als er Kamelfleisch aß, erkannten sie zwar ihren Fehler, blieben aber auf seiner Seite. So notierte noch der byzantinische Geschichtsschreiber Theophanes zum Todesjahr des Propheten, AM 6122, und ließ weitere Einzelheiten des Prophetenlebens und der Lehre folgen, wenn auch polemisch verzerrt. Er starb, «der Herrscher der Sarazenen und falsche Prophet». Die lateinischen Christen jenseits der arabischen Grenzen besaßen damals derartige Kenntnis nicht.
Mohammeds Tod im Jahr 632 und die ersten Konflikte um die Nachfolge des Propheten hielten die raschen Eroberungen und die weite Ausdehnung, den Bau des Hauses, von «Dar al-Islam», nicht auf. Mohammeds Stamm, die Quraiš, übernahm, durchaus derarabischen Gesellschaftsorganisation gemäß, die Führung. Der «Nachfolger des Propheten Gottes», arabisch
Ḫalîfat rasûli ’llâh
, kurz der «Kalif», war zugleich religiöser wie politischer Führer.
Die Expansion des Kalifats erfolgte in kaum glaublich, atemberaubend kurzen Jahrzehnten: Im Jahr 638 wurde Jerusalem erobert, zwei Jahre später fiel Ägypten, die Kornkammer Konstantinopels, 647/89 Karthago, im Jahr 711 wurde Spanien betreten und nach nur zwei Jahren waren die Pyrenäen erreicht, bald überschritten und das Land im Norden der Berge mit Narbonne im Zentrum unterworfen. Streifscharen drangen bald bis tief nach Aquitanien hinein; eine von ihnen wurde durch Karl Martell im Jahr 732 gestellt und geschlagen, was die karolingische Propaganda als großen Sieg feierte. Angriffe auf Sizilien ließen nach Karls des Großen Zeit nicht lange mehr auf sich warten.
Erstaunlich rasch, noch im 7. Jahrhundert, rüsteten die Araber, Landbewohner, die sie ursprünglich waren, eine schlagkräftige Flotte aus, die die bislang das Meer beherrschenden Griechen das Fürchten lehrte und sogar Konstantinopel selbst bedrohte. Das Reich, das hier entstand, erstreckte sich vom Indus bis an die Pyrenäen, vom Kaukasus bis nach Aden am Ausgang des Roten Meeres, weiter als das antike römische Imperium zur Zeit seiner größten Ausdehnung. Der arabische Fernhandel erreichte Indien und China, Sansibar und Ostafrika; und nur für kurze Zeit in den Jahrzehnten um 700 war die Handelsschiffahrt in die lateinische Welt des Westens eingeschränkt oder unterbrochen. Am nachhaltigsten spürbar wurde es durch das Ausbleiben des ägyptischen Papyrus, der bislang weithin als Beschreibstoff gedient hatte. Der Westen sah sich fortan auf das teure Pergament verwiesen[ 39 ].
Die Unterworfenen außerhalb der arabischen Halbinsel wurden
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