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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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er besser, als er es sprach. So beredt war er, daß er sprühend vor Witz erscheinen konnte.» So Einhards Rückschau (c. 25). Schon als Knabe muß derKönigssohn Latein gelernt haben; ob die Griechisch-Kenntnisse – vielleicht von Paulus Diaconus vermittelt – über ein paar Brocken hinausgereicht haben, sei dahingestellt. Der Biograph entwarf – anderthalb Jahrzehnte nach des Kaisers Tod – rückblickend ein Vorbild, an das der Autor Sohn und Enkel gemahnte. Zu Lebzeiten des großen Königs hieß es ungehemmt: «Er besiegt durch die Zaubermacht seiner Rede den großen Cicero, sein Sprechen übertrifft den wortgewaltigen Homer, in der Dialektik überragt er die alten Meister». Ein anonymer Poet pries überschwenglich seinen Herrn[ 106 ]. Das war Panegyrik, zweifellos; aber sie verkündete am Beispiel des Herrschers ein Programm und feierte erste Erfolge; so war es zugleich Propaganda für das Wissen.
    In der Tat, vor Karls Ohren wurden Scherze auf Lateinisch inszeniert, Witze auf Lateinisch erzählt. Niemand aber hätte zu lachen gewagt, ohne daß es der König verstand und mitlachen konnte. Wurden in der Königshalle auch Rechenaufgaben gestellt? Etwa: «Ein Hausvater versorgt zwanzig
familiae
. Er will zwanzig Scheffel der Ernte verteilen, und zwar so, daß Männer drei Scheffel erhalten, Frauen zwei, Kinder einen halben. Sag, wenn du kannst, wieviele Männer, Frauen und Kinder es sind.» Karl dürfte der Empfänger der einschlägigen Aufgabensammlung gewesen sein; an der Bevorzugung der Männer störte er sich kaum. Der Autor dieser Brotverteilung, vermutlich Alkuin, lieferte die Lösung gleich mit: Ein Mann, fünf Frauen, vierzehn Kinder[ 107 ].
    Reden war Herrschaftsinstrument in der durch Mündlichkeit geprägten Gesellschaft – auf Latein für die Gelehrten und die Kirchenleute, in der Volkssprache für das Heer. Karl handhabte es entsprechend. «Er war», so hielt Einhard fest (c. 25), «ein wortgewandter, ein mitreißender Redner, der aufs leichteste auszudrücken vermochte, was er wollte». Doch ist keine seiner Reden überliefert, obgleich sie vorausgesetzt werden dürfen. Er verlangte die Ausweitung lateinischer Sprachkompetenz. Die Lehrer selbst freilich mußten sich noch die ungewohnten Denk- und Aussageformen aneignen, die sie in den alten Texten und Bedeutungsschichten vorfanden, bevor sie dieselben an ihre Schüler weitergeben konnten.
    Erste lateinisch-althochdeutsche Wörterbücher wurden angelegt, vermochten aber nur unzulänglich das Ziel eines sachgemäßen Verstehens zu fördern. Deren ältestes, der nach seinem ersten Lemma genannte «Abrogans», entstand, soweit erkennbar, in Baiern wohl um die Mitte des 8. Jahrhunderts vielleicht zum Zweck der Mission als eine – durchaus fehlerbehaftete – Übersetzung eines spätantiken lateinischen Wortverzeichnisses zur Bibellektüre. Der Text wurde aber in Karls Zeit wiederholt transkribiert. Die älteste erhaltene, wiederum nicht fehlerfreie Abschrift, heute in St. Gallen, wurde noch vor dem Jahr 800 vermutlich in einem alemannischen Kloster geschrieben, das von der großen Erneuerungsbewegung noch nicht erfaßt worden war[ 108 ]. Sie spiegelt damit besonders eindringlich die sprachlichen Hürden, die sich damals vor jedes tiefere Textverständnis schoben: «Es beginnen die Glossen aus dem alten Testament»:
Abrogans

dheomodi
(«demütig»),
humilis

samftmoati
(«sanftmütig»),
abba – faterlih
(«väterlich»)
… aegomet – ihha («ich»), ego ipse – ih selbo («ich selbst»), ego inquid

ich hquad
(«ich sage»),
ego dixi

ih quidu
(«ich habe gesagt») und so ging es fort, über mehr als 3600 Stichworte[ 109 ].
    Die Geheimnisse des Glaubens erforderten indessen Subtileres, als die fränkische oder alemannische Zunge zu bieten hatte. Das «wilde Denken» der barbarischen Völker mußte «gezähmt», nämlich gründlich umgeformt, mußte aus aufzählenden, iterativen, parataktischen Redeweisen zu subordinativen, hypotaktischen geführt werden. Die Erneuerung mußte in jeder Hinsicht bei der Sprache beginnen. Die barbarischen Volkssprachen waren für die Liturgie nicht zugelassen; sie hätten deren Reichtum nicht zu fassen vermocht. Allein die zwei, drei wichtigsten Gebete waren in ‹germanische› Volkssprachen übersetzt; aus den ‹romanischen› Sprachgebieten des Frankenreiches sind keine gleichzeitigen Versionen des «Vaterunsers» bekannt. Die gotische Übersetzung des Neuen Testaments blieb fremd. Gottesdienst

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