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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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gewährleistet. So rettete nur ein glücklicher Zufall die kleinen Schriften des Tacitus mit Einschluß der «Germania». Im letzten Moment wurde die einzige erhaltene Handschrift – sie stammte aus dem 9. Jahrhundert –durch einen tüchtigen Humanisten des 15. Jahrhunderts buchstäblich vor der Verfütterung an die Schweine gerettet. Das gesamte Werk eines antiken Autors fand sich selten oder nie in den Bücherkisten auch der reichsten Bibliotheken. Florilegien, Exzerptsammlungen kamen in Mode. Vermutlich besaß kein einziges Kloster, keine Dombibliothek der Zeit um das Jahr 800 oder bald hernach das vollständige Werk des hl. Augustinus oder eines anderen Kirchenvaters, wie wertvoll jede einzelne ihrer Schriften auch eingeschätzt wurde.
    Karl wurde der wichtigste Mäzen und der vornehmste Sammler seines Reiches. Viel Fremdes, Wunderbares, noch nicht Begriffenes befand sich in seiner Bibliothek. Seltenste Texte – wie etwa eine Handschrift der römischen Agrimensoren, der Kunst der Landvermessung[ 113 ] – dürften sich in seiner Bibliothek befunden haben. Eine Übersicht über deren Bestände ist freilich schwer zu erstellen, da kein Katalog oder Verzeichnis vorliegt. Doch darf angenommen werden, daß die Kenntnis und das Werk manch eines Autors über diese königliche Sammlung gerettet wurde.
    Karl drang auf Nachhilfe, wo er Mängel entdeckte, belohnte mit Ämtern, wo er Erfolge erkannte, machte seinen wissensbeflissenen Hof zum nachahmenswerten Vorbild für die Herren und Völker seines Reiches und aller späteren Könige, zu einem Wissenszentrum und zur Schaltstelle der Wissensorganisation seines Reiches[ 114 ]. «Die freien Künste pflegte er auf das nachdrücklichste, ihre Lehrer verehrte er aufs höchste und stattete sie mit großen Ämtern aus»[ 115 ]. Der König und Kaiser wachte über der Qualität von Schülern und Lehrern in seinem Reich.
    Fromme Stiftungen, zusätzliche Wirtschaftsgüter und Einkünfte waren erforderlich, sollte die nötige Bildungsrevolution gelingen, das ganze Karlsreich erfassen und die Jahre überdauern. Ohne das Königtum wäre alles viel schleppender, wenn überhaupt erfolgt; ohne den Druck, den Karl der Große selbst auf die Kirchen und Klöster ausübte, wäre es entsprechend schwieriger gewesen. Jetzt aber entstanden die Inkunabeln abendländischen Wissens und Könnens, auf die dann alle spätere Wissenschaft und Technik zurückgreifen konnte. Sammeln, verstehen, durchdenken wurde zumGrundbedürfnis – das alles in einer Sprache, die erst erworben werden mußte, mit einer Fachterminologie, die es Schritt für Schritt zu entdecken galt, und mit einer Methodik, die noch niemand beherrschte.
    Es bedurfte eines langen Atems, um das in der Antike erworbene Wissen an die künftigen Generationen weiterzugeben und sie es sich geistig aneignen zu lassen. Literate Bildung war selbst für den Adel ein Privileg, das nur die wenigsten genießen konnten. Die ersten überregional bedeutsamen Schulen entstanden um die von Karl aus der Fremde angeworbenen Lehrer; die besonders begabten Absolventen hatten dann – in einer Art Kettenreaktion – ihrerseits in ihren Heimatklöstern oder Kirchen Unterricht zu halten und Schulen aufzubauen. So wurden der junge Einhard, bald auch der Knabe Hraban von ihrem Abt Baugulf in Fulda zu Alkuin geschickt, bevor der erste seinerseits die Hofschule, der jüngere Hraban die Klosterschule seines Heimatklosters Fulda übernahm[ 116 ].
    Zu den drei Grunddisziplinen der Grammatik, Dialektik und Rhetorik (der «Dreiweg», das Trivium) traten vier mathematisch orientierte Wissensbereiche: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (der «Vierweg», das Quadrivium). Des hl. Augustinus «
De doctrina christiana
» oder die «Institutionen» des Cassiodor überlieferten den Kanon dieser «sieben freien Künste», Alkuin lehrte sie, auch wenn sein Handbuch dazu unvollendet blieb[ 117 ], Theodulf propagierte sie in Versen[ 118 ]. Der König und Kaiser selbst bedurfte zumal der «Mathematik» und der «Astronomie» zur Berechnung von Zeit und Weltlauf, für das Kalenderwesen und zur Bestimmung des für alles Endzeitwissen bedeutsamen Weltalters. An Astronomie hatte er seine besondere Freude. Der Computus spielte in seinem Briefwechsel mit Alkuin eine große Rolle[ 119 ]. Neugier lenkte Karls Blicke Tag und Nacht zum Himmel.
    Ein fester Lektürekanon, wie es ihn später in den Schulen seit dem 10./11. Jahrhundert gab, bestand nicht, weder für die Grammatik,

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