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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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und Hochgebet, die rechte Verehrung des Allerhöchsten, riefen nach dem Latein. Wer sollte die Gebote der Kirche befolgen, wenn niemand sie recht verstand, sie korrekt lehrte, niemand sie recht zu erklären wußte?
    Der erneuerte Sprachunterricht der geistigen Eliten orientiertesich zunächst am Latein der Kirchenväter und der antiken Grammatiker, dann auch an den heidnischen Literaten und der Hochsprache römischer Dichter. Man suchte sie nachzuahmen, so gut man es vermochte. Vor Vergil freilich warnte Alkuin seine Schüler: «Befleckt euch nicht mit der zügellosen Geschwätzigkeit der Rede Vergils; es genügen euch die Dichter des Göttlichen», so soll er – vergebens – gemahnt haben[ 110 ]. Was hätte er zur «Liebeskunst» Ovids zu sagen gehabt?
    Dem ernsten Stil des Angelsachsen fehlte die ‹poetische› Leichtigkeit. Auch erschöpfte sich der neue Umgang mit dem Latein weithin und noch lange im Nachahmen. Erst nach Karl fand der eine oder andere Literat, selten genug, zu eigener schöpferischer Virtuosität. Solche ‹Imitatio› kaprizierte sich auf Redewendungen und Sprachfiguren, die in vergleichbar dünkenden Aussagen angetroffen wurden. Die antike Semantik blieb dabei, jedenfalls fürs erste, vielfach auf der Strecke. Es hätte eines sachlichen, sozialen und literarischen Kontextes zu reflektieren bedurft, wofür die Zeit noch nicht reif war.
    Nur eindringlicher Sprach-, d.h. Grammatikunterricht, und Geduld konnten Abhilfe schaffen. Der König verlangte jenen nachdrücklich und immer wieder. Dieser Unterricht verharrte zudem nicht in Isolation, wurde vielmehr in antiker Tradition gemeinsam mit Rhetorik und Dialektik erteilt, der Fähigkeit also, systematisch Fragen zu stellen, die nach den Regeln der Logik zu beantworten waren. Lesen, Verstehen und Sprechen wurden dabei ein neues Ganzes, das zunächst die Gelehrten zu fassen trachteten, das auf Dauer aber, in den kommenden Jahrhunderten, die Volkssprachen insgesamt ergriff und sie sich mehr und mehr an das Latein und seine Aussagenmuster anlehnen ließ.
    Was der oder jener zu lesen bekam, blieb oftmals dem Zufall überlassen. Die Gesamtheit antiker Literatur stand keineswegs mehr umfassend zur Verfügung. Vieles war untergegangen und für immer verloren. Nahezu alles Griechische war aus Mangel an Sprachkenntnis aus dem Bildungsreservoir der Lateiner ausgeschieden, soweit es in der Antike oder Spätantike keinen Übersetzer oder Kolporteur gefunden hatte. Tatsächlich wird das Bild derliterarischen römischen Antike bis heute maßgeblich durch die Rezeptionsfreude der Karolingerzeit geprägt. Was sie von der lateinischen Literatur erreichte und rettete, blieb erhalten; was sie verschmähte oder nicht kannte, ist für alle Zeit verloren[ 111 ].
    Der Aufwand, der zu betreiben war, um an die Texte zu gelangen, war enorm. Das Studienmaterial lag verstreut, hier und da; es mußte aufgespürt, sein Vorhandensein publik gemacht werden. Ungeduld war fehl am Platz. Wer lesen wollte, mußte weit umherreisen, mußte Texte entdecken, mußte Wissen sammeln und abschreiben, was er fand und was gefiel, Buch um Buch. Viel Fremdes, schwer Verständliches befand sich darunter. Erste Hilfe sollte eine Art enzyklopädischen Lexikons leisten, der «
Liber Glossarum
». Er bot, alphabetisch nach Lemmata geordnet, Bedeutungen und Synonyma zu jedem Stichwort und entstand vermutlich in Corbie um die Jahrhundertwende unter dem Abt Adalhard, Karls Vetter, vielleicht in des Königs Auftrag und unter dessen Kontrolle[ 112 ].
    Das umfangreiche Werk stützte sich auf zahlreiche antike Autoren, auf grammatische, patristische, medizinische Schriften, auch auf die «Etymologien» Isidors von Sevilla. Ein Riesenbuch war da entstanden, das Werk mehrerer Jahre: 368 Blatt im Folioformat zählte das älteste Manuskript in Corbie, in je drei Kolumnen beschrieben, in zwei Bänden gebunden. An die zweihundert Schafe oder Ziegen mußten für das benötigte Pergament ihr Leben lassen. Nur reiche Skriptorien oder Mäzene konnten sich ein solches Opus leisten. Seine Verbreitung im 9. Jahrhundert zeigt, daß es tatsächlich benutzt wurde.
    Was heute binnen weniger Sekunden oder Minuten via e-mail rund um die Welt geschickt werden kann, ausgedehnte Traktate, Inhalte ganzer Bücher und Bibliotheken, bedurfte langer Jahrzehnte, ja, ganzer Jahrhunderte, um eine Chance auf Verbreitung und Bewahrung zu erhalten. Auch nur die Chance. Denn die Verbreitung selbst war damit noch keineswegs

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