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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Königshofes[ 122 ].
    Karl ließ es sich gefallen. Bildungshunger zeichnete ihn aus. Als «weiser Führer», «weiser König», als König der Gelehrsamkeit durchbrach er das zu seiner Zeit übliche Königsmuster. In der Tat, dieser Herrscher wollte wissen, wurde neugierig, verlangte nach Aufklärung. Alkuin sollte ihm dazu verhelfen. «Ich will dich über die Redekunst und ihre Regeln befragen. Lächerlich wäre es, sie gerade hier in der Königspfalz nicht zu beherzigen.» So ermunterte Karl den Angelsachsen zu einem rhetorischen Lehrgespräch, das zugleich logische Probleme streifte. Die ersten eigenen dialektischen Werke des Mittelalters kündigten sich damit an: Alkuins «
Rhetorik
» und seine «
Dialektik
», die beiden Grundwissenschaften jeder höheren, vernunftbetonten abendländischen Gelehrsamkeit, beide für Karl bestimmt, beide dialogisch aufgebaut, beide – wie indirekt auch immer – Aristoteles verpflichtet. Die breite Überlieferung belegt, daß der König die Lehrschriften nicht nur für sich begehrte, vielmehr für seinen ganzen Herrschaftsbereich, für die intellektuellen Eliten seines Reichs, ein weiser, ein weisender König. Nichts verdeutlicht stärker, mit welchem Nachdruck Karl selbst die Erneuerung des Denkens verlangte. Dialektik, Vernunft, sollte seinen gesamten Herrschaftsraum durchdringen.
    «Gott hat dich, mein Herr König Karl», so begann der Angelsachse, «mit dem Licht der Weisheit erleuchtet und mit der Klarheit der Wissenschaft ausgezeichnet. Doch will ich, damit man mich nicht des Ungehorsams bezichtige, auf deine Fragen antworten». «Erläutere mir die Entdeckung der Rhetorik!» – «Einstmals lebten die Menschen, so wurde mir berichtet, wie wilde Tiere auf dem Feld, vermochten den Verstand nicht, nur ihre Körperkraft zu gebrauchen, versahen keinen Gottesdienst, keine menschliche Aufgabe. Nur blinde, unbesonnene Gier beherrschte sie zum Mißbrauch ihrer Kraft. Da erkannte ein bedeutender und kluger Mann, welch ein Stoff und welche Begabung in ihrem Geist schlummerte, wenn einer ihn nur hervorzulocken und zum Besseren zu leitenvermöchte»[ 123 ]. Karl hörte aufmerksam zu. Rede, die Einübung nämlich in die antike Rhetorik, war Bildung, war Anfang und Grundlegung der Wissenschaft, zeugte von Vernunft und mehr als das, war dem animalischen Dasein entrissene Menschlichkeit, vernunftverpflichteteMenschenwürde, Herrscherpflicht, Maß auch der eigenen Seele. Entsprechend handelte der große Karl. Hoftage und die Lenkung seines Reiches sollten ihren Nutzen daraus ziehen.
    30 Beginn der «Rhetorik» Alkuins, München, Bayerische Staatsbibliothek clm 14377
    Alkuin folgte seinen antiken Vorbildern. Und dennoch: Wie ‹neuzeitlich› modern argumentierte dieser frühmittelalterliche Angelsachse: Aus dem tierhaften Zustand zum Gebrauch der Vernunft als Folge erwachender Erkenntnis. Das erinnert eher an Darwin denn an Kant, der in Kategorien des Fortschritts, nicht der Evolution dachte. Nichts da mit selbstverschuldeter Unmündigkeit. Im Gegenteil: Aus Tierhaftigkeit durch den geweckten Vernunftgebrauch zur Menschenwürde – eine grandiose Vision. Wohl aber implizierte Alkuins Fabel unterschiedliche Bildungsniveaus in unterschiedlichen menschlichen Gesellschaften. In Karls Reich aber sollte der Geist geweckt, der Gottesdienst verrichtet, die Menschen zum Besseren geleitet werden – und seien es fürs erste bloß die Eliten.
    Schlichte Übungen standen am Anfang. «Was ist eine sophistische Rede?» Karl verlangte es zu wissen, Alkuin zögerte, dem König eine solche vorzuführen, zu despektierlich erschien es ihm. «Ist’s erlaubt, dich zu fragen?» «Warum nicht?» Nun denn: Wer frage, sei nicht derselbe, der antworte. «Gewiß nicht.» «Was bist du?» «Ein Mensch». «Wenn du sagt, daß ich und du nicht dasselbe sind, ich aber ein Mensch bin, bist du folglich kein Mensch.» «In der Tat». «Und weiter: Wieviele Silben hat
homo
(d. i. Mensch)?» «Zwei.» «Bist du somit zwei Silben?» «Was soll der Quatsch?» «Du wolltest sophistische Verschlagenheit durchschauen»[ 124 ]. Die Rhetorik konnte auch nützlicher daherkommen: «Induktion ist eine Rede, die über gewisse (Aussagen) ungewisse Sachverhalte erschließt und den, der sich sträubt, zur Zustimmung nötigt.» Karl konnte kaum glauben, daß solches möglich sei. «Es erscheint unmöglich, daß durch Rede erreicht werden kann, einen Widerstrebenden zur Zustimmung zu bringen»[ 125 ]. Der König war an Zwang und Gewalt

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