Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
warten. Nikephoros hatte im Oktober des Jahres 811 bei einer der schlimmsten Niederlagen der Byzantiner gegen den Bulgarenkhan Krum den Tod gefunden. «Viele wurden Witwen und Waisen an diesem einzigen Tag», klagte Theophanes in einem seiner letzten Einträge (AM 6303).
Nikephoros’ Sohn und Mitkaiser Staurakios, selbst schwer verwundet, konnte sich nur wenige Monate halten. Die Gegner riefen seinen Schwager Michael zum Kaiser aus. Eine lange Regierung war auch diesem nicht beschieden; doch «war er fromm und rechtgläubig». «Er empfing die Gesandten des Herrn Kaisers Karl und entließ sie wieder», um seine eigenen Legaten an den fränkischen Hof zu geleiten. Sie sollten den Frieden bestätigen, den Nikephoros geschlossen hatte (ArF 812).
Michael anerkannte Karl als «Imperator und Basileus». Der Franke schickte nun mit seiner Antwort Amalhar von Trier und den Abt Petrus von Nonantola an den Bosporus zu seinem «ehrwürdigen Bruder» Michael; der Brudername betonte so wie die Titelidentität –
imperator et augustus
– die Gleichrangigkeit. Er,Karl, danke Jesus Christus, so schrieb er nach Konstantinopel, daß Er den lange gesuchten und stets herbeigesehnten Frieden zwischen dem Ost- und dem Westreich zu festigen und die heilige, katholische und unbefleckte Kirche zu einen und zu befrieden erwürdigte[ 143 ].
Auch der Patriarch von Konstantinopel und der Papst tauschten sich schriftlich aus, was leichter fiel, da sie nicht entzweit waren[ 144 ]. In Konstantinopel überschlugen sich freilich die Dinge. Karls Gesandte wurden Zeugen eines neuerlichen Herrschersturzes. Michael mußte sich ins Kloster zurückziehen, sein Nachfolger Leon war zwar zum Frieden bereit, verlangte aber eine neue Gesandtschaft mit einem auf ihn selbst (nicht auf Michael) ausgefertigten Vertragsentwurf. So eilten abermals Gesandte hin und her. Den Frieden, der nach vierjährigen Verhandlungen endlich zustande kam, hat Karl dann nicht mehr erlebt; er fiel Ludwig dem Frommen wie eine reife Frucht in die Hände (ArF 813–814).
Böswillige Legenden umrankten diese Friedensgesandtschaften. Sie illustrieren die fränkische Blindheit angesichts der bedrängten Lage in Byzanz. Hatte sich doch quasi unter den Augen der Lateiner in Konstantinopel ein zwei- oder dreifacher Herrscherwechsel vollzogen, kein einziger ohne Tumult und alle bedingt durch die katastrophalen Bedrohungen Neuroms von außen. Despektierlich schäbig sei der Empfang in der Kaiserstadt gewesen, so wurde kolportiert, voll Lieblosigkeit. Die Gegengesandtschaft der Griechen habe man dann aus Zorn bis zur Erschöpfung in unwegsamem Gelände quer durch die Alpen geführt, um sie endlich Karls rächender Prunk- und Machtentfaltung am Aachener Hof auszuliefern. Dreimal seien sie da vor den falschen Herren in Devotion zu Boden gesunken, bevor sie vor dem Kaiser die Knie beugten. Derartige Geschichten kursierten im Kloster von St. Gallen. Sollte der Bischof Heito, einer der Gesandten des Jahres 811 und Abt des Klosters, selbst ihr Urheber gewesen sein? Es steht zu bezweifeln. Die Franken hatten nie realisiert, was sie im systemischen Mächtespiel den Bulgaren, was in der Abwehr der Araber den Griechen zu verdanken hatten; und der berichtende Mönch aus St. Gallen[ 145 ] dürfte, ohne Blick für das Ganze, zusätzlich das traditionsreiche diplomatischeZeremoniell der Rhomäer mißverstanden und verdreht haben. Die dreifache Proskynese paßte nicht zum fränkischen Hof, wohl aber nach Byzanz, wo sie üblich war.
Allen diplomatischen Spannungen zum Trotz hatte längst ein interkultureller Austausch zwischen Byzanz und dem Frankenreich eingesetzt, der sich nun verstärken mochte. Dessen Spuren finden sich zunächst vereinzelt und weit verstreut. Notker von St. Gallen etwa erwähnte griechische Musikinstrumente als Geschenk für Karl den Großen, darunter eine Wasserorgel, die über eherne Behälter und mit Blasebälgen aus Rindshaut den Wind durch eherne Pfeifen blies und bald Donnergrollen, bald die Sanftheit der Leier, bald den süßen Klang von Zimbeln erklingen ließ. So der Mönch. Karls Handwerker hätten sie nachgebaut[ 146 ]. Man vermutet auch Einfluß der karolingischen Minuskel auf die nun in Gebrauch kommende griechische Minuskelschrift im byzantinischen Kulturkreis[ 147 ]. Es wäre ein Geben und Nehmen von beiden Seiten gewesen.
Abkürzungen
AM
Annus Mundi (das Jahr nach der Weltschöpfung)
AMP
Annales Mettenses priores
ArF
Annales regni Francorum
ArFqdE
Annales regnis
Weitere Kostenlose Bücher