Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Schließlich rang er sich eine erste Prognose ab.
„Tja, Herr Gehring, es sieht ganz so aus, als wäre sein Genick gebrochen. Wie das passiert ist, weiß ich noch nicht. Ich werde mir das genauer ansehen müssen.“
Gehrings Kollege, Kommissar Harald Reichard, war nähergetreten und drängte sich dazwischen. Er schien beinahe zu platzen vor Neuigkeiten.
„Chef?“, stieß er aufgeregt aus.
„Ja?“
„Jetzt raten Sie nur, wen ich bei den Passagieren im Saal entdeckt habe.“
Der Hauptkommissar gab sich gelangweilt und zog die Augenbrauen hoch. „Kölners Freundin“, gab er knapp zurück.
Die triumphierende Spannung in Reichards Gesicht zerschellte in kleine Stücke. Zu gerne veranstaltete er diese kleinen Ratespiele mit dem Hauptkommissar, vor allem wenn er glaubte, als Einziger eine wichtige Neuigkeit entdeckt zu haben. Gehring kannte das schon lange, dennoch brachte ihn diese Unart immer noch regelmäßig aus der Fassung. Reichard wusste das, konnte es aber einfach nicht lassen. Eigentlich hätte er nun einen nüchternen Report abgeben sollen, doch er hatte noch diesen anderen Pfeil im Köcher. Er konnte nicht anders. Mit siegesgewissem Grinsen schoss er ihn ab. „Aber wissen Sie auch, wer der Verletzte war, der im Maschinenraum neben der Leiche lag?“
„Reichard!“ Gehrings Stimme wurde laut und er musterte seinen Untergebenen streng.
„Schon gut, Chef, schon gut. Sie kommen sowieso nicht drauf. Wir kennen den Mann aber. Ein Kollege von uns, sozusagen. Karl Einser, der Hundeführer, Sie wissen schon.“
Jetzt war Gehring wirklich perplex. Einser war Mitglied des Motorradvereins, in dessen Clubhütte Karlo Kölner mehr oder weniger wohnte. Zusammen mit Wolfhard Kuhl und anderen aus dem Club war er schon bei einigen Kriminalfällen mit dem Polizisten in Kontakt gekommen. Und jedes Mal war es Kölner gewesen, der die zumeist undurchsichtige Geschichte ins Rollen gebracht hatte. Allerdings musste Gehring zugeben, dass Kölner oft auch einen großen Teil zur Klärung der teilweise verzwickten Fälle beigetragen hatte. Nicht zuletzt hatte er im letzten Jahr Gehrings Frau das Leben gerettet. Natürlich war er ihm dafür sehr dankbar, mehr als das. Doch die Aussicht auf ein weiteres Abenteuer mit dem chaotischen Kölner erschien ihm trotzdem wenig verlockend.
Gehring kletterte die Stufen nach oben und trat ins Freie. Der Schiffsführer stand unschlüssig vor der Tür des Maschinenraums und wartete, dass ihm jemand eine Aufgabe zuteilte. Er war es nicht gewohnt, in Krisensituationen untätig zu sein, allerdings waren das hier auch völlig ungewohnte Umstände. Gehring sprach ihn an.
„So, Herr Brand, ich brauche Sie jetzt einen Moment. Sie sagten, es hat jemand beobachtet, wie die Person über Bord gegangen ist?“
Brand deutete auf drei Männer, die ein paar Schritte weiter an der Reling standen. Der eine trug Jeans, einen grauen Fleecepullover und eine Baseballkappe.
„Da, unser Marek. Marek Iwanczyk, ein Matrose. Der hat beobachtet, wie der Mann über Bord ging, sagt er. Wir haben gleich die Maschinen gestoppt und das Wasser abgesucht. Man konnte aber kaum was erkennen, es war einfach schon zu dunkel. Als wir dann mit dem Scheinwerfer kamen, war der Mann bestimmt schon weggetrieben. Marek hatte aber vorher einen Rettungsring geworfen. Der hat dieses Rettungslicht, wissen Sie, an dem kann sich ein Verunglückter orientieren. Hat alles nichts genutzt, die Person war weg.“ Brand unterbrach sich und deutete zu den Männern an der Reling. „Der Mann mit der Baumwollmütze, der in der blauen Jacke, das ist August Siebert. Ebenfalls Matrose.“
Er zögerte wieder kurz, dann fuhr er fort: „Und daneben steht Herr Küster, unser Motorenwart. Der hat den Unbekannten bei der Leiche im Maschinenraum gesehen. Dieser Mann war bestimmt der Täter, oder?“
„Das können wir noch nicht sagen, Herr Brand. Vielen Dank fürs Erste. Dann unterhalte ich mich mal mit den dreien.“
Kurz darauf stand Gehring bei den Männern und stellte seine Fragen. Die Beschreibung Karlos fiel relativ eindeutig und sehr bildhaft aus. Küster war immer noch ziemlich aufgeregt und schilderte seine Begegnung mit dem mutmaßlichen Mörder in den schillerndsten Farben. Karlo musste einen nachhaltigen Eindruck auf den Motorenwart gemacht haben, dachte Gehring und seufzte innerlich. In welche undurchsichtige Lage hatte sich Kölner nun wieder manövriert? Gehrings Gedanken schweiften ab, als ihm einmal mehr der letzte Kontakt mit
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