Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Karlo in den Sinn kam. Unvermittelt fuhr Küster mit seinem Bericht fort und Gehring wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen.
„Ich wollte den Kerl zuerst festhalten“, tönte Küster großspurig, „aber dann ist er wie von Sinnen auf mich losgegangen. Sie hätten seine Augen sehen sollen. Der hat völlig irre geguckt. Ja, und seine Hände waren voller Blut. Da hab ich lieber Unterstützung geholt. Das war bestimmt ein Wahnsinniger. So wie der geschaut hat. Wer sonst bringt harmlose Passagiere um?“
Gehring ließ die letzten Überlegungen unkommentiert und wandte sich Iwanczyk, dem Matrosen zu.
„Sie haben beobachtet, wie die Person über Bord ging? Konnten Sie den oder die Betreffende erkennen? War es ein Mann oder eine Frau?“
„War Mann, ganz bestimmt“, kam es mit starkem osteuropäischem Akzent zurück. „Ungefähr groß wie ich. War sähr schlank. Hatte sähr eilig. Ich konnte Gesicht nicht erkennen. Habe nur von hinten gesähen.“
Gehring schätzte den Matrosen auf ungefähr einsachtzig. Die Beschreibung der beiden Männer konnte gut auf Kölner passen. Er hakte nach.
„Wie kam es, dass der Mann über Bord ging? Ein Unfall? Oder hatte er Streit mit jemandem? Gab es einen Kampf?“
„Nein, nix Kampf. Mann ist gesprungen, wollte in Wasser, absichtlich.“
August Siebert, der zweite Matrose, war nähergetreten und bekräftigte die Aussage Iwanczyks.
Das alles konnte auf Karlo Kölner passen. Immer vorausgesetzt, bei dem Mann, der über Bord gesprungen war, handelte es sich um den dritten Mann aus dem Maschinenraum. Doch warum sollte er den Schauspieler Alfons Wurm töten und überdies auch noch seinen guten Bekannten Karl Einser niederschlagen? Aber was sonst hätte die Flucht durch einen Sprung ins ebenso kalte wie schmutzige Wasser des Mains gerechtfertigt?
Gehring kam ins Grübeln. Jeannette Müller hatte nicht erwähnt, dass Einser an Bord gewesen war. Wusste sie nichts davon? Oder hatte sie einen Grund, das zu verheimlichen? Er musste dringend mit Karlos Freundin und ihren Bekannten sprechen. Nachdem er die Personalien der beiden Matrosen und Küster, dem Maschinenwart, aufgenommen hatte, machte er sich auf den Weg zurück zum Salon.
–
Gehring hatte Jeannette und ihre beiden Freunde aus der Rhön ins Steuerhaus gebeten, um ungestört mit ihnen reden zu können. Er war zur Überzeugung gelangt, dass Karlos Freundin noch einiges zu berichten hatte und hoffte, dass sie mehr Klarheit in diese undurchsichtigen Geschehnisse bringen konnte.
Diese Hoffnung sollte sich leider nicht erfüllen.
Jeannette spürte einen leichten Schwindel, als Gehring berichtete, dass es sich bei dem Toten um den Schauspieler handelte, der den verkrachten Schlagersänger verkörpert hatte.
„Na prima“, dachte sie verzweifelt. „Wurm ist tot und Karlo ist verschwunden. Was mache ich jetzt bloß?“
Sie beschloss, alles zu erzählen, was der Kommissar sowieso herausfinden würde. Die Vorgeschichte, die nur sie und Wurm betraf, behielt sie erst einmal für sich.
Gehring spielte, bereits im Gehen begriffen, seinen letzten Trumpf aus. Er drehte sich noch einmal umständlich herum, zog den Kopf ein wenig ein und kratzte sich hinter den Ohren. Der unvergessene Peter Falk klatschte auf seiner Wolke begeistert Beifall. „Ach ja, nur noch eines, Frau Müller, der Herr Einser, der kam doch sicherlich auch mit Ihnen auf’s Schiff. Wo ist der denn eigentlich abgeblieben?“
Jeannette erschrak zuerst über die Frage, dann wurde ihr klar, dass Gehring über den Verbleib Einsers informiert sein musste. Sie vermutete zwar, dass Einser etwas mit Karlos letztem Plan zu tun hatte. Da sie aber nichts Näheres wusste, fiel es ihr leichter, sich dumm zu stellen.
„Einser?“, entgegnete sie verwundert. „Sie meinen unseren Karl Einser, den Polizisten? Wie kommen Sie denn auf den?“
„Klar“, dachte Gehring und gab für den Moment auf. „Sie wird ihren Karlo nicht in die Pfanne hauen.“
Das Flackern in Jeannettes Augen war ihm nicht entgangen. Die Fragezeichen in den Gesichtern von Sina Mehler und Paul Perlig hingegen wirkten echt.
Am gleichen Abend
8
Karlo hob die Plane an und lugte vorsichtig auf’s Deck hinaus. Das Rettungsboot trug diesen Namen zu Recht. Es gab an Bord eigentlich keine sicheren Verstecke, auch das Rettungsboot zählte nicht dazu, der Klassiker, wenn es in vergangenen Zeiten darum ging, sich als blinder Passagier eine kostenfreie Seereise zu erschleichen. Doch für Karlo war es buchstäblich
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