Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Auch das Ufer war im diffusen Licht nur schemenhaft zu erkennen.
Zwischenzeitlich war man bei der Anlegestelle Fechenheim angekommen und die Maschine wurde gedrosselt. Eine Minute später war Schiffsführer Marius Brand bei den beiden Männern.
Fast zur gleichen Zeit, als die
Römerberg
in Fechenheim anlegte, traf auch das Boot der Wasserschutzpolizei ein. Zwei Beamte hatten das Schiff unverzüglich betreten, die Besatzung des Polizeibootes suchte mit Scheinwerfern das Wasser sorgfältig ab.
Mehr als die Hälfte der Passagiere hatte sich voll der üblichen Sensationsgier an Deck begeben und behinderte die Beamten bei ihrer Arbeit. Der Rest lief oder stand mehr oder weniger konfus im Salon herum. Sina, Jeannette und Paul gehörten zu den wenigen, die noch an ihrem Platz saßen. Paul hatte die Frauen überzeugt, dass es besser sei, an den Tisch zurückzukehren.
Jeannette war nicht umhingekommen, ihren Freunden in aller Kürze von Wurms Angriff und der unerhörten Beschuldigung des Ladendiebstahls zu erzählen. Und von Karlos Racheplan, zumindest soweit er ihr selbst bekannt war. Nachdem sie geendet hatte, machte Paul ein sorgenvolles Gesicht.
„Hoffentlich täusche ich mich“, bemerkte er ohne große Zuversicht. Er schaute Karlos Freundin bekümmert an, als er weiterredete. „Ich glaube aber, du hast völlig recht, Jeannette. Karlo steckt wieder einmal bis zum Hals in Schwierigkeiten.“
Freitag, 16. September,
später am Abend
7
Die Beamten der Wasserschutzpolizei hatten sich schließlich gegen die Neugierigen durchgesetzt und mit behördlichem Nachdruck die gesamten Passagiere wieder im Salon versammelt. Auf den ersten Blick befanden sich alle Gäste an Bord. Mit Ausnahme der Person, die über Bord gegangen war. Da sich Karlo nicht in Sichtweite befand, verstärkte sich bei Jeannette der Verdacht, dass er derjenige war, der dem Schiff auf diese unkonventionelle Art den Rücken gekehrt hatte. Jeannette hielt mühsam ihre Panik im Zaum.
Dass sich im Maschinenraum eine Leiche befand, war schnell durchgesickert. Dass es sich dabei um einen der Schauspieler handelte, hatte ebenfalls gerüchteweise die Runde gemacht. Und mittlerweile hatte auch der Letzte begriffen, dass diese Vorkommnisse nicht zur Show gehörten. Die Neugierde am kriminellen Geschehen war allerdings ungebrochen. In dicken Trauben hingen die Gäste an den Fenstern und begafften, wie ein Polizist auf einer Trage zum Notarztwagen gebracht wurde. Jeannette, deren Interesse an der ganzen Geschichte noch am ehesten zu erklären war, äugte ebenfalls angestrengt ins Halbdunkel vor dem Saal. Als die Sanitäter das Fenster passierten, hinter dem sie stand, wäre sie fast umgekippt.
„Karl Einser“, murmelte sie verstört und versuchte, den Schwindel zu unterdrücken. Was hatte Karlo da nur wieder angerichtet? An Zufälle im Zusammenhang mit Karlo glaubte Jeannette schon lange nicht mehr.
Paul und Sina saßen derweil stumm am Tisch und verstanden die Welt nicht mehr. Sinas rechte Hand lag vor ihr auf dem Tisch. Paul hatte seine Linke behutsam daraufgelegt. Sie spürte es und es schien ihr einen gewissen Halt zu geben, doch die Geschehnisse lenkten ihre Gedanken in völlig andere Richtungen.
Als die Trage mit Einser im Inneren des Notarztwagens verschwunden war, löste sich Jeannette vom Fenster und steuerte auf die beiden Freunde zu. Mit Verwunderung registrierte sie, wo sich Pauls Hand befand und ein kleines Lächeln flog über ihr besorgtes Gesicht. Sie konnte ihren Blick einfach nicht mehr abwenden. Paul bemerkte es mit einem Mal, erschrak und riss seine Hand zurück, als hätte sie auf einer heißen Herdplatte gelegen. Er verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und bekam einen heftigen Hustenanfall. Sinas irritierter Blick pendelte zwischen dem belustigten Lächeln Jeannettes und dem hochroten Kopf Paul Perligs hin und her. Ein zarter Hauch des Verstehens zog durch ihr verschüttetes romantisches Empfinden. Sie tätschelte unbeholfen einen Oberschenkel Pauls, dann wurde sie wieder ernst.
„Was ist denn hier eigentlich los? Wo ist Karlo?“
„Es wird besser sein, wenn wir uns erst einmal dumm stellen. Ich möchte mich nur ungern verplappern“, beschied Jeannette den verblüfften Rhöner Freunden. „Wenn die Polizei Fragen stellt, sagt ihr einfach, dass ihr nichts mitgekriegt habt. Wir reden später nochmal über alles.“
„Wir haben ja auch gar nichts mitgekriegt“, beschwor Paul eindringlich, ein klein wenig beleidigt und immer
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