Karlo geht von Bord - Kriminalroman
die Rettung. Außerdem hatte er Glück gehabt, dass der Mann, der ihn bei der Leiche entdeckt hatte, ziemlich ängstlich gewesen war. Er hatte geschrien wie am Spieß, danach hatte er die Flucht angetreten. Das hatte Karlo einen günstigen Augenblick verschafft, in dem er unter die Plane des kleinen Boots schlüpfen konnte, ohne beobachtet zu werden. Das weitere Geschehen auf dem Schiff hatte Karlo nur bruchstückhaft verfolgen können.
Karlo hatte kaum die Plane über sich geschlossen, da hörte er, wie die Maschinen gedrosselt wurden. Zudem vermutete er, das Schiff nähere sich dem Ufer.
Er sah unter der Plane hervor und spähte in Richtung des nahenden Ufers. Schattenhaft erkannte er eine Reihe von Häusern und einige erleuchtete Fenster. Ein Brückenbogen zeichnete sich andeutungsweise vor diesem Hintergrund ab. Der Arthur-von-Weinberg-Steg! Sie waren also schon in Fechenheim angekommen. Plötzlich hörte er auch das andere Motorengeräusch. Es schien sich ein weiteres Boot zu nähern. Das konnte nur die Wasserschutzpolizei sein. Er senkte die Plane wieder und ging in Wartestellung. Wenig später spürte er den Ruck, als das Schiff an der Anlegestelle festmachte, und sein Versteck begann zu schaukeln. Aus der Ferne näherte sich der Klang eines Martinshorns.
Karlo hätte nicht sagen können, wie lange er nun reglos im Boot ausharrte. Auf Deck war ein lautstarkes Durcheinander entstanden. Die Menschen standen wild diskutierend und neugierig den Rettungssanitätern im Weg. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Kriminalpolizei an Bord kam.
Nach einer Weile endlich dirigierte die Wasserschutzpolizei die aufgeregten Passagiere in Richtung Salon.
Karlo spähte wieder unter der Plane hervor. Nun schien sich niemand mehr an Deck zu befinden. Er hob die Plane weiter an und rollte sich über den Rand des Bootes ins Freie. Mit ein paar Schritten erreichte er die Tür des Maschinenraums. Vorsichtig schlich er nach links und spähte um die Ecke der Aufbauten. Das Licht des Salons verteilte sich matt über die Backbordseite des Schiffs. Es war ein Risiko, das war ihm klar, doch er musste es einfach probieren. Zügig lief er den schmalen Steg entlang. Als er die Absperrung zum Anlegesteg erreicht hatte, kletterte er darüber und erklomm den kleinen Weg, der zur Straßenbahnhaltestelle oberhalb des Stegs führte. Oben angekommen schaute er zurück. Alles blieb ruhig an Deck. Man hatte ihn nicht bemerkt. Karlo begann zu laufen. Auf dem Pfad, der einige Meter oberhalb des Mainufers verlief, rannte er bis zur Endhaltestelle der Linie elf. Dort setzte er sich schwer atmend auf eine Bank im Wartehäuschen.
Frustriert gestand er sich ein, dass Jeannette recht gehabt hatte. Er hätte es bei Teil eins seines „Racheplans“ bewenden lassen sollen. Erste Selbstvorwürfe stellten sich ein. Seinen Freund Karl vermutete er inzwischen verletzt im Krankenhaus und er hatte keinen Schimmer, wie es ihm ging. Sein verdammter Fluchtreflex hatte ihn wieder einmal reingeritten. Warum war er nicht einfach auf dem Schiff geblieben? Er hatte niemandem etwas getan. Mit dem Mord an Alfons Wurm hatte er nichts zu tun. Allerdings war Karlo klar, dass er sich nicht nur durch seine Flucht verdächtig gemacht hatte. Denn was sollte der Mann, der ihn im Maschinenraum entdeckt hatte, denken, als er seine blutverschmierten Hände sah? Dabei hatte er nur Karls blutende Kopfwunde untersucht. Was wurde hier bloß gespielt?
Karlo grübelte. Dass Wurm Feinde hatte, lag auf der Hand. Die Reaktion seiner Frau Beate hatte den Verdacht nahegelegt, dass Wurm zuweilen fremden Damen gegenüber eine gewisse Aufgeschlossenheit an den Tag gelegt hatte. Der eine oder andere gehörnte Ehemann war möglicherweise nicht gewillt gewesen, Wurms Aktivitäten hinzunehmen. Aber wie sollte man an entsprechende Namen gelangen? Er musste mehr über Wurm in Erfahrung bringen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte Karlo, dass es noch nicht zu spät war. Die Passagiere des Unglücksschiffs würden nicht so schnell von Bord gelassen werden. Er zog sein Handy hervor und wählte Gerri Kuhls Nummer. Kurz darauf hörte er die vertraute Stimme von Wolfhard Kuhls Sohn. Karlo versuchte, wichtig zu klingen.
„Ah, Gerri, gut, dass ich dich erreiche. Hast du einen Moment Zeit? Ja? Ich brauche dringend deine Hilfe. Kannst du versuchen, ob du im Internet eine Adresse rauskriegst? Der Name ist Alfons Wurm. Ja doch, wie der Wurm. Da gibt es nichts zu lachen, Gerri, das muss jetzt schnell
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